
Pleiteticker-Interview
Von Jerome Wnuk
Jeder Berliner kennt den Namen Hennig – denn seit über 90 Jahren macht die Familie Hennig Eis wie kein Zweiter. Eis Hennig ist und war eine Konstante, eine Berliner Institution, ein Laden der für die Vielfalt und die Werte stand, die in heutiger Zeit leider oft verloren gehen: Ehrlichkeit, Herzlichkeit und Beständigkeit. Hennig war das Eis West-Berlins.
Von den Glanzzeiten der Westberliner Zeit ist heute leider nicht mehr viel übrig. Dank der steigenden Kosten hatte man keine Wahl mehr: Nun schließt auch die vorletzte Filiale der Lokalberühmtheit.
„Ein Stück Lebensfreude“ – so beschreibt die Alt-Berliner Institution Eis Hennig ihre traditionell hergestellte und frisch in den Becher gespachtelte Leckerei. Im Jahre 1930, also vor über 90 Jahren, gründeten Alois und Franz Hennig ihren ersten, kleinen Eisladen in der heutigen Feuerbachstraße in Berlin-Schöneberg. Als der Zweite Weltkriegs losbrach, mussten die beiden Brüder ihr Geschäft schließen – Franz kämpfte vier Jahre im Krieg und saß anschließend in sowjetischer Gefangenschaft. Seinen Eisladen hat er über all die Zeit nie aufgegeben.
Im Jahre 1949, kurz nachdem Franz Hennig aus der Gefangenschaft entlassen wurde, baute er das Familiengeschäft mit einem Darlehen von ostpreußischen Bekannten wieder neu auf. Trotz der schwierigen Zeit florierte das Geschäft, Hennig expandierte und konnte nach und nach immer mehr Filialen in der Hauptstadt aufbauen – vor allem im Südwesten Berlins erfreute sich die Kette bis in die 1980er großer Popularität. Bis zu dieser Zeit leitete Franz das Geschäft in Steglitz mit seiner Frau Lisbeth. Die anderen Geschäfte verteilte er an seine Söhne und seine Tochter. Einen von ihnen ist Norbert Hennig. Pleiteticker.de hat mit ihm über die Schließung der vorletzten Filiale, die sein Vater aufgebaut hat, gesprochen.
Norbert Hennig seufzt schwer, als wir ihn auf die Schließung der Filiale in Tempelhof ansprechen. „Ja, das war Ort meiner Kindheit“ sagt er zu dem Eisgeschäft, in dem er ein großen Teil seines Lebens verbracht hat. „Meine Kindheit als Sohn eines Eisherstellers war wunderschön“ erzählt er und lacht. Schon als vierjähriges Kind habe er in dem Geschäft in Tempelhof mitgeholfen und fleißig Kisten hin und hergetragen. Er schwärmt davon, dass er oft Eis aus den Maschinen naschen durfte oder im Vorzimmer des Eisladens saß und Rosinen und Ananas knabberte, während er sich die Kundschaft anschaute – Männer, Frauen und Kinder, die sich selbst eine Freude mit einem leckeren eis machen wollten.
Manchmal durfte Norbert seinem Vater auch dabei zusehen, wie er auf einer kleinen Gasflamme Eis kochte – das ist lange her. Doch Norbert weiß noch immer ganz genau wie alles dort aussah, welcher Baum im Garten stand, wie die Telefonnummer des Geschäfts lautete und wie gerne er mit seinem grünen Fahrrad von der heimischen Wohnung über dem Laden auf dem Steglitzer Damm 17 nach Tempelhof gefahren ist. Jahre später kaufte er die Filiale in Tempelhof von seinem Vater ab und führte sie bis 2005, bis er sie an seiner Schwester Christine weitergab.
„Ich verbinde sehr viel mit dem Geschäft“ sagt er und wechselt hörbar berührt in einen leicht nostalgischen Ton – „Eine gewisse Art von Melancholie und einem Gefühl der Vergangenheit anzuhängen schwingt mit.“ Hennig erzählt, dass die Familie in West-Berlin zu Hochzeiten in 11 bunten Geschäften mit gutem Eis, herzlicher Atmosphäre und innovativen Ideen kleine und große Kunden anlockte. „Es kamen alle Leute zu uns“ sagt Norbert Hennig und verweist auf eine Karikatur, die lange Schlangen um das Geschäft zeigen.
Teilweise fuhren Menschen durch ganz Berlin nur um sich das leckere Eis von Norbert und seiner Familie schmecken zu lassen. Das Publikum reichte von Omas, die mit ihren Enkeln Eis essen gingen bis zu lauten Teenagern die auf dem Weg zum Club waren und einen Zwischenstopp für süßes Eis machten. Hennig war 365 Tage im Jahr geöffnet, selbst im Winter. Für viele Berliner waren die Läden eine Konstante.
Eis Hennig überraschte zwar immer mit neuen Sorten, doch das Konzept blieb stets gleich: Herzlichkeit, Treue und Beständigkeit. Für viele Berliner war er sogar noch mehr – Hennig war ihr erster Arbeitsplatz. Die Familie Hennig stellte viele Jugendliche mit nur 16 Jahren ein und zeigte ihnen so nicht nur das Eisgeschäft, sondern bot ihnen einen freundlichen Einstieg in die Arbeitswelt.
Das Geschäft in Tempelhof, wo viele Berliner ihr geliebtes Eis essen konnten und das Norbert Hennig noch so gut in Erinnerung hat, ist jetzt geschlossen. Aufgrund steigender Material- und Energiekosten blieb Rosemarie Seyda, die den Laden betrieb und lange zusammen mit Christian Hennig arbeitete, nur die sofortige Schließung der Filiale. „Mit 90 Cent pro Portion bin ich einer der preiswertesten Eisverkäufer der Stadt. Ich müsste meine Preise anheben, aber die Leute sparen aus Angst sowieso schon an allen Ecken“, so Seyda gegenüber der BZ.
Somit bleibt nur noch das Geschäft in Mariendorf übrig. Es ist der letzte Standpunkt einer Berliner Institution. Wer sich nach traditionsreichem und leckerem Eis sehnt und sich ein wenig in die 80er Jahre hineinfühlen möchte, der sollte im Sommer 2023 Mariendorf besuchen. Als Enkel eines Opas, der dort für sein Leben gerne Eis für uns kaufte, kann ich es nur empfehlen.