Unbeleuchtete Straßen, suspekte Personen, immer mehr Kriminalität. Viele Frauen fühlen sich nachts in Berlin nicht mehr sicher. Der rbb propagiert in einem aktuellen Beitrag, dass Frauen sich bewusst an diese Orte begeben sollen. Absurd, aber wahr.
Aus Angst, überfallen oder Opfer eines Übergriffs zu werden, meiden Frauen sogenannte „Angsträume“. Und von denen gibt es – unter anderem wegen kaputtgesparter Laternen und sich verschärftem sozialem Elend – immer mehr in der Hauptstadt. In der Reportage „Warum sich viele Berliner:innen nachts unsicher fühlen“ liefert der rbb ängstlichen Frauen jetzt einen paradoxen Lösungsvorschlag: Sie sollen die als gefährlich empfundenen Angsträume „besetzen“. Mit anderen Worten: Bewusst dorthin gehen, wo es sich unsicher anfühlt oder sogar ist. – Aha. Echt jetzt?
Angst in dunklen Ecken? Ist bestimmt nur eingebildet…
Ja, echt: Um dem Problem entgegenzutreten, so der rbb, sollen „Flintas“ (der rbb nutzt in der Reportage mehrfach ganz selbstverständlich den Trans-Fachbegriff für Frauen und alle, die sich so fühlen usw) diese Angsträume nicht meiden, sondern einfach hingehen, sagt Stadtplanerin Mary Dellenbaugh-Losse, die im Beitrag als Expertin auftritt. Das Wichtigste für Frauen sei, an für sie heiklen Orten Präsenz zu zeigen. Das sei „Empowerment“ und der einzige Weg, „Solidarität zu zeigen“. Die Methode würde auch für ängstliche Frauen funktionieren.
Dass der Ratschlag direkt dazu führen könnte, dass Frauen Tätern direkt in die Arme laufen, scheint den Autoren der Reportage bewusst zu sein – im Beitrag werden als Strategie auch Selbstverteidigungskurse empfohlen. Außerdem könnten ängstliche Frauen in finsteren Ecken doch das Heimweg-Telefon nutzen – einen Service, bei dem man auf dem Nachhauseweg eine Art Beschützer anrufen kann.
Unvermeidliches Fazit: Mehr Toleranz ist die Lösung!
Erstaunlich: Dass vor allem die Politik für mehr verwahrloste Ecken und schlechte Straßenbeleuchtung verantwortlich ist und genau das zu mehr Angst bei Frauen (und, mal nebenbei bemerkt: ganz bestimmt auch Männern) führt – wird in der rbb-Reportage nicht mal im Nebensatz erwähnt.
Stattdessen wird in den Raum gestellt, dass wir uns einfach alle „zusammenreißen sollten“. Außerdem möge man bitte hinterfragen, ob die eigene Angst vielleicht auch ein bisschen übertrieben oder gar eingebildet sein könnte.
Immerhin: Es wird eingeräumt, dass das subjektive Angstgefühl seine Berechtigung hat. Am Ende kommt eine rbb-Kommentatorin im Beitrag allerdings zum kontextfreien und dennoch unvermeidlichen Schluss: „Unterm Strich ist es eine gesellschaftliche Frage, ob die Stadt für Menschen aller Geschlechter, Herkunft, sexueller Orientierungen gleichermaßen zugänglich ist.“ Die Frage, warum sich immer mehr Berliner nachts unsicher fühlen, beantwortet das nicht.