Bei Experten-Anhörungen wird künftig gekennzeichnet, welche Partei die Sachverständigen eingeladen hat. Was wie eine winzige Änderung der Geschäftsordnung scheint, wird die Arbeit im Bundestag verändern.

Von RALF SCHULER
Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen! Es ist eine alte Weisheit der 68er Studentenbewegung: Wer die vermeintlich staubigen Regeln für die Aufstellung von Rednerlisten und Kandidaten, die Abläufe von Wahlen, Zulassung von Zwischenfragen und Anträgen kontrolliert, der kontrolliert am Ende auch, wer mit seiner Meinung ans Rednerpult darf oder mit seinen Unterstützern zum Zuge kommt. Beliebtes Beispiel auf Grünen-Parteitagen: Schließung der Rednerliste, wenn keine weiblichen Redner mehr das Wort wünschen.
Wie schon geringfügige Änderungen der Geschäftsordnung die Arbeit im Deutschen Bundestag beeinflussen, zeigt ein aktuelles Beispiel: Kurz vor Weihnachten wurde mit der Stimmenmehrheit der Ampel-Koalition gegen die Stimmen der AfD und Union bei Enthaltung der Linken folgender Satz in die Geschäftsordnung des Parlaments (§ 70 Abs. 4 GO BT) eingefügt: „Im Übrigen ist mit der Tagesordnung zu veröffentlichen, auf Vorschlag welcher Fraktionen die einzelnen Sachverständigen oder Auskunftspersonen zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen wurden.“
Hintergrund: Bevor der Bundestag ein Gesetz oder eine Änderung eines Gesetzes nach drei Lesungen im Plenum beschließt, befassen sich die zuständigen Ausschüsse mit dem Vorhaben und können von außen Sachverständige, Gutachter oder sonstige Experten zu Anhörungen einladen. Von nun an ist mit kleinen Fußnoten auf den öffentlich zugänglichen Einladungslisten hinter den Gästen vermerkt, auf Wunsch welcher Fraktion sie zu Wort kommen und zur Meinungsbildung der Parlamentarier beitragen.
„Wir wollten da schlicht Transparenz schaffen“, sagt Stephan Thomae (54, FDP) gegenüber Pleiteticker.de, der in seiner Fraktion für Geschäftsordnungsfragen zuständig ist. Im Grunde sei intern ja auch schon bisher bekannt gewesen, welche Fraktion wen beruft, und Journalisten konnten es mit wenig Aufwand ebenfalls herausfinden.
AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann (64) sieht das viel weniger freundlich. „Die Sachverständigen sollen inhaltlich kompetente Fachleute sein, die durch Expertise und gute Argumente überzeugen. Sie sollen den Ausschuss so in seiner Entscheidungsfindung unterstützen. Welche Fraktion nun einen Sachverständigen benennt, ist für dessen Expertise und Qualität kein Präjudiz“, so Baumann zu Pleiteticker.de. Seine Vermutung: „Dass die Koalition jetzt mit dieser Praxis brechen will, hat Gründe. Der wohl wichtigste: Die Fachleute können so von vornherein als ,AfD-Experten‘ stigmatisiert und ihre Reputation beschädigt werden. Dies macht es der AfD-Fraktion noch schwerer, Sachverständige zu gewinnen.“
Eine ähnliche Stoßrichtung sehen auch Geschäftsordnungsexperten in der Spitze der Unionsfraktion, die aber nicht genannt werden wollen. Fakt ist: Die AfD hat in etlichen Anhörungen seit der Neureglung keine Sachverständigen mehr benannt. Dass sie es auch schon vorher schwer hatte, Experten zu gewinnen, stimmt ebenfalls.