Frauen sollen sich aktiv in dunkle Straßen begeben – das empfiehlt der rbb in einem Beitrag auf YouTube. Die Journalisten scheinen jeden Realitätsbezug verloren zu haben. Das ist gefährlich, meint unsere Autorin.

Berliner Frauen, ihr braucht keine Angst im Dunkeln haben! Das will uns der rbb in einem am Mittwoch erschienenen YouTube-Beitrag zumindest weiß machen. Wieso? Das erklärt uns eine junge Frau mit zuckersüßer Stimme: Laut Kriminalstatistik sei Berlin so sicher wie seit zehn Jahren nicht mehr. In einem Interview mit einer Stadtplanerin erfahren wir dann: Der Grund, warum trotzdem so viele Frauen Angst im Dunkeln haben, sei zu wenig Beleuchtung in den Straßen.
Allerdings – so erfährt der woke Zuschauer gleich – gebe es auch da erstzunehmende Bedenken: Dauerhaft Lampen brennen zu lassen, sei nicht besonders umweltfreundlich. „Das ist halt wieder so ein Abwägen“, sagt die junge rbb-Journalistin. Also was tun gegen die Angst im Dunkeln? Die zwei Frauen im Video empfehlen: Boxen lernen und – vor allem – sich nicht vertreiben lassen. „Take back the night“, sagt die Stadtplanerin lächelnd in die Kamera – Frauen sollen die dunklen Bereiche nicht meiden, sondern aktiv besetzten, um sie zurück zu erobern.
Ja, wie soll ich sagen, als ich das gesehen habe, habe ich mir natürlich sofort meine Boxhandschuhe geschnappt, mir ein Klappmesser zwischen die Zähne geklemmt und bin in den Görlitzer Park gelaufen. Auf dem Weg habe ich noch ein paar andere Mädels mit Kung Fu-Kenntnissen und Ringer-Rücken eingesammelt und mich dann gemeinsam mit ihnen vor die Drogendealer und die anderen dunklen Gestalten, die da nachts unterwegs sind, gestellt und gerufen: „Wir holen uns den Görli zurück!“. Dabei haben wir noch „Who run the world? – Girls“ von Beyoncé gesungen und unsere Becken geschwungen. Und ja, sofort sind alle von uns gewichen, haben sich auf den Boden geworfen, sich dafür entschuldigt, uns aus dieser Grünanlage vertrieben zu haben. Dann haben sie uns zu einem gemeinsamen Kaffeeklatsch am nächsten Tag eingeladen.
Berlin ist nicht Bullerbü, es ist gefährlich
Genug der Ironie. Es ist unfassbar, was der Öffentlich Rechtliche Rundfunk uns hier für einen Bären aufbinden will. Berlin ist kein missverstandenes Büllerbü – sondern laut der Kriminalstatistik immer noch die mit Abstand gefährlichste Stadt in Deutschland. Im April 2022 hat der rbb selbst noch berichtet: Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind „stark gestiegen“. Ein Blick in den besagten Polizeibericht bestätigt das: Die Zahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffen ist auf 1.541 Fälle in 2021 angewachsen.
Die Aussage des rbb, dass Berlin so sicher sei, wie seit zehn Jahren nicht mehr, bezieht sich womöglich auf die Angabe der Polizeistatistik, dass die Straftaten in Berlin 2021 ingesamt leicht zurückgegangen sind. Diese Zahl jedoch zum Aufhänger eines Videos zu machen, in dem es über Angst im Dunkeln geht, und die steigenden Sexualstraftaten nicht zu erwähnen, zeugt nicht nur von den mangelnden Statistik-Kompetenz des rbb, sondern ist auch eine drastische Verharmlosung der tatsächlichen Gefahrensituation in Berlin.
Seit Jahren nehmen die Sexualdelikte in Berlin zu – trotzdem ermuntert der rbb Frauen, ihre Selbstschutzreflexe über Bord zu werfen und sich absichtlich in „Angsträume“ zu begeben. Im Klartext heißt das doch nicht anderes als: Der rbb ermutigt Frauen dazu, sich in Gefahr zu bringen. Im Zweifel könne man sich ja mit einem Faustschlag auf die Nase verteidigen.
„Angsträume“ aufsuchen? Nein, meiden!
Nun, ich werde daran denken, wenn ich das nächste Mal in Charlottenburg die Straßenseite wechsle, weil ein Psychotiker „I kill you“ durch die Gegend schreit und mit einem Poller Passanten bedroht – oder wenn mir nachts in Kreuzberg mal wieder ein afrikanischer oder arabischer Mann mit Katzen-Anlock-Geräuschen so lange hinterherläuft, bis ich mich in eine Bar flüchte.
Jede Frau, die wie ich schon einmal nachts in Berlin unterwegs war – und nicht komplett in einer Traumwelt lebt – weiß aber: Das Vermeiden von gefährlichen Orten und Situationen ist leider notwendig, um sich selbst vor Übergriffen zu schützen. Es ist utopisch zu glauben, dass wir uns mit nebenbei angelernten Boxkünsten ernsthaft verteidigen könnten. Die meisten Männer sind uns körperlich überlegen und werden das kleine boxende Händchen im Zweifel entspannt mit ihrer Pranke zur Seite schieben.
Der rbb will, dass wir dennoch unsere Schutzmechanismen ablegen. Damit zeigt der Sender nicht nur, dass seine Journalisten offenbar jeden Realitätsbezug verloren haben, sondern auch, dass ihnen die Sicherheit von Frauen anscheinend weniger wichtiger ist als die Verbreitung der eigenen Ideologie. Ob das nun Blödheit ist oder absichtliches Framing, das uns die Angst vor den Verfehlungen der Migrations- und Sicherheitspolitik nehmen soll, müssen andere sagen. Ich hoffe nur, dass keine Frau zu Schaden kommt, weil sie sich, motiviert durch das rbb-Video, in einen dunklen Park begeben hat.