
Kommentar von Pauline Schwarz
Am Donnerstag hat die Mehrheit der Ampel-Koalition für die Einführung des Bürgergeldes gestimmt – das bedeutet: Künftig gibt es noch mehr Geld, für noch weniger zutun. Schon das alte Harz-IV-System bot wenig Anreize, dafür eine massive Fehler- und Manipulationsanfälligkeit. Das Bürgergeld setzt dem ganzen die Krone auf.
Unser Sozialhilfesystem soll Bürgern, die über keine finanziellen Mittel verfügen und sich nicht selbst helfen können, ein Leben ermöglichen, „das der Würde des Menschen entspricht” – und das ist in einem modernen und (zumindest noch einigermaßen) wohlhabenden Land wie Deutschland auch gut so. Das Problem ist nur: Die Begriffe „minimale Existenzsicherung” und „Leistungsberechtigter” wurden von unseren Politikern in den letzten Jahren immer weiter ausgedehnt und so zielstrebig ad absurdum geführt. Das gestern beschlossene Bürgergeld setzt dem Wahnsinn nun die Krone auf – und das mitten in der Energiekrise. In einer Zeit, in der man jeden Euro dreimal umdrehen sollte, bevor man ihn an jemanden auszahlt, der ihn nicht verdient.
Schon das alte Harz IV-System, das von Kritikern gerne als „menschenverachtend” und „erniedrigend” bezeichnet wird, bot wenig Anreize, dafür viel Geld für wenig Zutun und massive Fehler- und Manipulationsanfälligkeit – das habe ich in den acht Jahren, die ich in einem Berliner Betreuungsbüro gearbeitet habe, etliche Male live miterlebt. Ich habe durch meinen Job schon tausende Anträge auf Arbeitslosengeld II gestellt und immer schön dafür gesorgt, dass unsere Schäfchen ihr Geld erhalten – auch wenn sie es nicht immer verdient hatten.
Warum arbeiten, wenn man auch Harz-IV beziehen und Drogen dealen kann?
Mein liebstes Beispiel für die gespielte Unfähigkeit sich selbst zu versorgen, war ein Mann, der mehr Mitleid für sich selbst übrig hatte, als irgendjemand sonst. Er saß im Rollstuhl, hatte starke Schmerzen und litt fürchterlich unter der Behindertenfeindlichkeit in der Hauptstadt – weshalb er ganz dringend zusätzliche Fördermittel brauchte. Doch manchmal geschah plötzlich ein Wunder: Wenn man am Berliner Hermannplatz vorbeikam, konnte man den guten Mann beim arbeiten beobachten – oder besser gesagt: beim Drogen dealen. Der Rollstuhl, die Schmerzen, alles war auf einmal vergessen. Er war fit wie ein Turnschuh, nur wenn die Begutachtung oder Gespräche mit Sozialarbeitern oder Mitarbeitern des Jobcenters anstanden, war er plötzlich wieder ein kleines Häufchen Elend.
Wer jetzt denkt, dass es sich bei dem Herrn um einen Einzelfall handelt, hat weit gefehlt. Mir fallen auf einen Schlag mindestens fünf solcher Fälle ein – von Leuten, die teilweise sogar in Clan- oder Mafiastrukturen eingebunden sind und dort eine ganze Menge Kohle scheffeln. Das sind dieselben Leute, die mit vier unterschiedlichen Namen bei vier verschiedenen Jobcentern in vier verschiedenen Bundesländern angemeldet sind und für jede ihre Identitäten weit über tausend Euro im Monat kassieren – auf Kosten des Steuerzahlers.
Warum einen Finger krumm machen, wenn es eh keine Sanktionen gibt?
Aber selbst wenn man die richtig kriminellen Fälle weglässt: Die meisten unserer Klienten – die nicht tatsächlich so schwer psychisch oder körperlich krank waren, dass sie kaum arbeitsfähig waren – haben nie auch nur ein Vermittlungsangebot oder eine Weiterbildungsmaßnahme der Arbeitsagentur in Anspruch genommen. Und das obwohl die Angebote zum Teil wirklich lukrativ sind: Wenn man sich bereit erklärt, eine Ausbildung zum Kraftfahrer zu machen, kriegt man den Führerschein, den Arbeitsplatz und jedes kleine Hilfsmittel mit Kusshand serviert, ohne auch nur einen einzigen Finger krum zu machen – man kriegt also etwa 2.000 Euro geschenkt. Und: Mit dem Bürgergeld ist das künftig noch mehr, denn dann gibt es noch einen Motivationsbonus, eine sogenannte „Teilhabeleistung”, obendrauf.
Unsere Klienten hatten darauf häufig trotzdem keine Lust – warum sollte man sich auch anstrengen, wenn das Geld auch ohne Zutun monatlich auf das Konto flattert. Früher hat man Leistungsbeziehern in solchen und ähnlichen Fällen, also bei der Verweigerung zur Mitwirkung (Teilnahme an Maßnahmen, Einreichung von Dokumenten, Nichterscheinen bei Terminen etc.) die Leistung gekürzt – die Sanktionen bei Pflichtverletzung wurden aber in Teilen für Verfassungswidrig erklärt, weshalb nur noch kleine Prozentbeträge gekürzt werden durften.
Das Bürgergeld ist ein Freifahrtsschein in unser Sozialhilfesystem
Dank Bürgergeld werden die Leistungsvoraussetzungen künftig noch weiter aufgeweicht: Leistungsbezieher haben zunächst eine sechsmonatige „Vertrauenszeit”, in der sie im Prinzip machen können was sie wollen, ohne dass ihnen irgendeine Sanktion droht. Und das ist nicht alles: Bisher wurde vor der Leistungsgewährung das Vermögen des Antragsstellers geprüft und auf die Leistung angerechnet (das heißt, vom Anspruch abgezogen). Die Schonvermögensgrenze – also Vermögen, das anrechnungsfrei bleibt – liegt aktuell noch bei 5.000 €. Mit dem Bürgergeld soll das Schonvermögen erhöht und das Vermögen in den ersten zwei Jahren völlig außer Acht gelassen werden, wenn es den Betrag von 60.000 Euro nicht übersteigt. Das heißt also: Auch mit 59.999 Euro auf der hohen Kante, sind zwei Jahre Vollversorgung durch den Steuerzahler garantiert.
Damit ist das Bürgergeld am Ende nichts anderes, als ein Freifahrtschein in unser sowieso schon marodes Sozialhilfesystem. Es erleichtert den Arbeitsverweigerern die Arbeitsverweigerung und schafft jeden noch so kleinen Anreiz seinen Hintern hochzukriegen ab. Und einigen Leuten könnte man das nichtmal vorwerfen, denn: Warum sollte man sich vierzig Stunden lang den Buckel krumm arbeiten, wenn der Harzer von nebenan am Ende des Monats trotzdem mehr Geld in der Tasche hat?