
Pleiteticker-Kommentar
Von Ralf Schuler
Auf in die Räte-Republik: Die Grünen wollen mit den sogenannten „Bürgerräten“ ein neues Instrument einführen, um das Volk noch besser zu vertreten – so heißt es zumindest. Die Wahrheit ist: Man hat sich vom ursprünglichen Plan, sich für Volksabstimmungen einzusetzen, verabschiedet, weil Bürgerräte viel besser steuerbar sind. Sie sind ein Instrument, um das Parlament auszuhebeln.
Der Bundestag arbeitet weiter mit Hochdruck daran, sich selbst Konkurrenz zu machen. So genannte Bürgerräte sollen demnächst schon das Volk gegenüber der Volksvertretung noch besser vertreten als diese selbst. Klingt irre? Ist es auch.
Die Idee dahinter: Wofür es im Parlament keine Mehrheit gibt, könnte im pseudodemokratischen Paralleluniversum der Bürgerräte beschlossen werden und dann moralischen Druck auf die Abgeordneten entfalten.
Der „Aufbaustab“ mit derzeit vier Planstellen im höheren (z.B. Besoldungsgruppe A13: 4.592 – 5.904 Euro), gehobenen und mittleren Dienst hat im Laufe von September und Oktober seine Arbeit aufgenommen, wie ein Sprecher des Bundestags gegenüber
pleiteticker.de bestätigte. Eine weitere Leiterstelle (B3 rd. 8900 Euro) soll noch hinzukommen.
Kostenpunkt: „Für das Projekt Bürgerräte sind im Bundeshaushalt 2022 Sachmittel in Höhe von 3 Mio. Euro sowie Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre 2023 und 2024 in Höhe von ebenfalls 3 Mio. Euro vorgesehen.“
Dass es nicht einfach nur um mehr Mitbestimmung der Bürger geht, sondern raffinierte Meinungsmache, zeigt die Geschichte der Bürgerräte. Ursprünglich wollten sich die Grünen für mehr Volksabstimmungen stark machen. Eigentlich eine ur-grüne Forderung. Auf dem digitalen
Bundesparteitag im November 2020 dann die überraschende Wende: Auf Vorschlag des Grünen-Bundesvorstandes ließen die Delegierten der Ökopartei das Projekt bundesweiter Volksabstimmungen fallen und sprachen sich stattdessen mit denkbar knapper Mehrheit von 51,48
Prozent für die Einführung von Bürgerräten aus.
Der damalige Grünen-Chef und heutige Vizekanzler Robert Habeck hatte zuvor davor gewarnt, dass Volksabstimmungen dem Populismus Schub verleihen könnten nach dem Motto: „Die da oben sind sowieso alle Verräter, das Volk weiß es besser.“ Und: „Volksentscheide werden polarisieren. Sie werden nicht den Diskurs in der Gesellschaft befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft.“ Selbst Grünen-Urgestein Jürgen Trittin setzte sich dafür ein, die parlamentarische Demokratie zu stärken.
Unausgesprochen im Raum: die Angst, das Volk könnte womöglich „falsch“ abstimmen, die neue Mitsprache dazu nutzen, „progressive“ Projekte zu blockieren oder gar AfD-Ideen mit Hilfe der Stimmung auf der Straße zum Durchbruch verhelfen.
In den Bürgerräten dagegen sollen per Los ausgewählte Bürger zu eigens vom Bundestag ausgewählten Themen beraten und Beschlüsse fassen. „Die Teilnehmer sollen per Zufallsauswahl auf der Grundlage von Daten der Melderegister bestimmt werden“, so ein Sprecher zu Pleiteticker.de. Doch Fakt ist auch, dass es eine Auswahl der gelosten Teilnehmer geben
soll. Wann und wie das geschehen soll, ist noch offen, denn der Bundestag will die organisatorische Abwicklung der kleinen Zusatzparlamente an Vereine, Verbände oder andere Organisatoren vergeben. „Aktuell werden die Vergabeunterlagen für die Beauftragung eines externen Dienstleisters im Zuge eines europaweiten offenen Vergabeverfahrens fertig gestellt. In
der Folge müssen die eigehenden Angebote ausgewertet und bewertet werden“, so der Sprecher zu pleiteticker.de.
Eines aber ist offensichtlich: Bürgerräte sind viel besser steuerbar, als Volksabstimmungen, die jeder starten kann, der genug Unterstützer mobilisiert. Und: Bürgerräte können nicht gewählt und nicht abgewählt werden, tragen somit keinerlei eigene Verantwortung für ihre Empfehlungen. Ähnlich wie beim Deutschen Ethikrat, kann sich die Politik nach dem Votum der Bürgerräte richten oder es sein lassen. Theoretisch zumindest. Denn praktisch wird die Meinung von Bürgerräten natürlich Gewicht haben – schon wegen des wunderbar volksnahen Namens. Sie zu ignorieren, dürfte die gewählten Abgeordneten in Begründungsnot bringen. Und das ist vermutlich auch gewollt so.