
Die Gasspeicher sind fast vollständig gefüllt, Deutschland sei gut auf den Winter vorbereitet: Diesen Eindruck will die Bundesregierung, allen voran Wirtschaftsminister Robert Habeck, den Deutschen vermitteln. „Es ist eine sehr anspruchsvolle Lage, und große Einsparungen sind definitiv weiter nötig, aber wir sind als Land vorbereitet“, sagte der Bundeswirtschaftsminister dem Spiegel. Doch das Sicherheitsgefühl, das durch solche Worte vermittelt werden soll, ist trügerisch. Das belegt jetzt eine Studie zweier Top-Ökonomen, über die die Welt heute exklusiv berichtet. Denn nach wie vor droht diesen Winter eine handfeste Gaskrise – daran ändern auch die warmen Worte eines Habecks oder eines Scholz nichts. „Die Situation ist sehr ernst“, heißt es in einer Kurzstudie mit dem Titel „Was tun, wenn der Markt kollabiert.“
Das Papier der Ökonomen Axel Ockenfels von der Uni Köln und Achim Wambach (Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW) skizziert die Gefahr eines Marktzusammenbruchs im Winter. Dieser sei zwar „in kaum einem Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften zu finden, doch handelt es sich nicht bloß um eine theoretische Besonderheit“, mahnen die beiden Wirtschaftswissenschaftler. Das Szenario: Eine Kaltfront lässt die Preise theoretisch in die Höhe schnellen – diese Preissteigerung erreicht die Endverbraucher jedoch verzögert. Diese reagieren nur träge auf Änderungen von Großhandelspreisen. „Wenn sich aber sowohl Nachfrage als auch Angebot von immer höheren Preisen kaum beeindrucken lassen, ist es möglich, dass der Markt keinen Preis ermitteln kann, der Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringt“, heißt es in dem Papier: „Der Markt versagt dann bei seiner zentralen Aufgabe“ – und verteilt das Gas nicht mehr vernünftig.
Die Folge ist ein Marktzusammenbruch: Am Gasmarkt etwa könnten massive Zahlungsausfälle dazu führen, dass die Versorger in Liquiditätsprobleme geraten und keine neuen Gasimporte mehr finanzieren können. „Auch die Gasspeicher können kein ausreichendes Maß an Versorgungssicherheit herstellen, wenn sie allein den Marktanreizen folgen.“ Versäumen Politik und Regulierung, ergänzend Versorgungssicherheit zu garantieren, könne der Markt „in eine bedrohliche Schieflage geraten“, warnen die Studienautoren: „In dieser Situation befinden wir uns nun.“ Schießen die Preise am Gas-Großhandel zu schnell zu hoch, könnte die Gasbörse sogar entscheiden, den Handel einzustellen, warnen Ockenfels und Wambach.
Dieses Szenario sei jedoch von den verantwortlichen in Politik und Regulierungsbehörden weitgehend ignoriert worden, kreiden Ockenfels und Wambach an. „Obwohl ein Marktkollaps nicht nur theoretisch möglich ist, wird der Frage, wie dieser im Ernstfall gehandhabt werden soll, kaum Aufmerksamkeit gewidmet (…) Politik und Regulierung bleiben noch Antworten schuldig, wer bei einem Marktzusammenbruch wie viel Gas erhält und zu welchem Preis.“ Dabei sei die Vorbereitung auf genau diesen Ernstfall elementar, um eben jenen zu verhindern. „Die Antwort auf die Frage, was genau bei einem Marktzusammenbruch passiert, hat erhebliche Auswirkungen auf das aktuelle Verhalten und damit auch auf die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses“, schreiben die beiden Ökonomen.
Die Bundesnetzagentur könnte mit transparent kommunizierten Regeln für den Ernstfall Sicherheit schaffen und auch die Märkte beruhigen. Aktuell, so heißt es in der Studie, würden viele Unternehmen sogar mehr Gas verbrauchen (etwa für die Vorproduktion von Produkten), weil sie nicht wüssten, wie die Lage im Ernstfall aussehen würde. Wird die dritte und letzte „Notfallstufe“ des nationalen Notfallplans ausgerufen, wird die Bonner Behörde zum „Bundeslastverteiler“, die das knappe Gas nach Bedürftigkeit zuteilt. Welche Industriebetriebe und Gewerbe in einer Mangellage noch prioritär mit Gas versorgt werden, wird aber nicht kommuniziert. Die schlechte Kommunikation vom grünen Netzagentur-Chef Klaus Müller ist politisches Kalkül, um Unmut zu vermeiden – führt aber am Ende dazu, dass sich die Situation verschlimmert.