
Live-Analyse
Von Ralf Schuler
Oppositionsführer gegen Bundeskanzler, Merz gegen Scholz: Seit 9:00 läuft die Generaldebatte im Bundestag. Pleiteticker.de berichtet live.
- 9:00: Zehn Minuten vor Beginn der Sitzung schlendert Unionsfraktionschef Friedrich Merz (67, CDU) in den Plenarsaal. Gleich zum Auftakt wird er die Bundesregierung unter Feuer nehmen, vor allem den wundersamen Stellenaufwuchs in vielen Ressorts, werde er aufs Korn nehmen, raunt es in der Fraktion. Zuletzt hatte die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman sechs A15-Stellen hinzubekommen. Merz schlendert durch die Reihen der Abgeordneten, plaudert hier, drückt Hände dort, Teil, seiner Nahbarkeitsoffensive.
Kanzler Olaf Scholz kommt kurz vor 9 Uhr, begrüßt zunächst in aller Höflichkeit die Fraktionschef per Handschlag, geht dann zu seinem Platz. Eine Geste unter Demokraten sol das wohl sein am Tag des großen Schlagabtauschs, der in den Haushaltswochen traditionell in den Debatten über den so genannten Kanzler-Etat (Einzelplan 04) ausgetragen wird.
- 9:15: Doch wer einen unmittelbaren Frontal-Angriff von Merz auf die Ampel gerechnet hatte, muss sich gedulden: Merz steigt ein mit einer Erinnerung an den noch immer andauernden Ukraine-Krieg und appelliert an die allgemeine Solidarität. Es dauert rund vier Minuten, bis der erste Schlag kommt gegen die Regierungsbank und den Kanzler. Scholz habe die Zeitenwende ausgerufen, und doch habe bis jetzt das zuständige Gremium für die Aufrüstung der Bundeswehr erst einmal getagt, nächste Sitzung am 23. Februar. Bis heute sei noch nicht eine einzige Bestellung zur Beschaffung abgegeben worden. Merz zieht die Schlagzahl deutlich an: Wenn die Bundesregierung rechtzeitig gehandelt hätte, hätte es zum aktuellen Preisschock bei Energie, Strom und Gas nicht kommen müssen. Eine Attacke, die zum ersten Mal den Saal zu Applaus und Zwischenrufen treibt. Einfache Marktwirtschaftliche Mechanismen seien der Bundesregierung offenbar unbekannt. Wenn man eine Nachfrage-Krise habe, müsse man das Angebot ausweiten.
- 9:17: Als er Habeck seine „eigene Voreingenommenheit, um nicht zu sagen Ideologie“ vorhält, reichen sich Habeck und der neben ihm sitzende Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) amüsiert die Hand. Eine Geste der Unbeeindrucktheit, viel Feind, viel Ehr, soll das wohl heißen. Überhaupt plaudern Lindner und Habeck besonders demonstrativ kumpelhaft auf der Regierungsbank. Das Klima zwischen beiden gilt als angespannt. Bei solchen Gelegenheiten werden gern bewusst Bilder produziert, die das Gegenteil zumindest zeigen sollen. Alles in allem sei es „handwerklich schlechtes Regierungshandeln“, sagt Merz.
- 9:20: Merz greift eine Stimmung der Unzufriedenheit im Lande auf, illustriert sie mit Fakten und weiß seine Fraktion hinter sich. „Sie, Herr Bundeskanzler, hätten sagen können, und aus meiner Sicht auch sagen müssen: Diese Krise ist auch eine Chance“, sagt Merz und schaltet um in die Rolle des Ersatzkanzlers, der besser weiß, wie man gut regiert. Seht her, ich kann es besser, soll das wohl heißen. Scholz blickt derweil meist ungerührt und starr ins Rund der blauen Parlamentssitze, die an diesem Mittwoch bis fast nach ganz hinten gefüllt sind. Nur manchmal schiebt er eine amüsierte Geste dazwischen.
- 9:25: Merz ist derweil bei der Energiepolitik angekommen, verlangt, dass nicht nur die Akw länger laufen sollen, sondern eine regelrechte Offensive bei allen innovativen Energieformen gestartet werden müsse. CO2-Abscheidung, Fracking, alles, was geht nach vorne werfen, um Deutschland zukunftfähig zu machen bei Energie und Wirtschaftskraft. Ein raffiniertes Anspielen auf die Hoffnung der Menschen draußen, endlich wieder aus dem Not- und Sparmodus herauszukommen und wieder unbeschwerter Leben zu können. Doch Merz geht noch weiter. Er fordert eine große Rede von Scholz, in der er das Land mitnimmt und aufrüttelt. Scholz grinst derweil „schlumpfig“ und lässt sich nichts anmerken. Am Ende applaudiert die Union lange und demonstrativ. Nun spricht Bundeskanzler Olaf Scholz.
- 9:26: Der Bundeskanzler tritt ans Rednerpult – und feuert direkt in Richtung Merz. „Weil diese Bundesregierung nicht nur redet, sondern handelt“: Scholz eröffnet – für seine Verhältnisse – feurig. „Als ich Ihnen gerade zugehört habe, musste ich an Alice im Wunderland denken – was groß ist, das reden Sie klein“.
- 9:29: Scholz hat sich auf einen harten Return vorbereitet, weil er ahnte, dass Merz ihm nichts schenken würde. Merz blende aus, wer für die aktuelle Lage verantwortlich war in den letzten Jahren. Anderes in Merz‘ Rede sei schlicht Unsinn, kontert er den Oppositionsführer stumpf, um dann eine Liste der Ampel-Erfolge anzuschließen: volle Gasspeicher, reaktivierte Kohlekraftwerke, sorgfältige Planung der Bestellung für die Bundeswehr.
- 9:32: Scholz lobt die Unterstützung der Ampel für die Ukraine. „Hören sie der Ukraine eigentlich zu?“, ruft einer aus der Union dazwischen. Scholz bleibt ungerührt. Statt dessen referiert er die vermeintlichen Erfolge des G7-Gipfels auf Bali. Auch das ist ein Klassiker für Regierungschefs: Punkten mit der eigenen Bedeutung auf der Weltbühne der international Mächtigen. Kleinliche Kritik der Opposition gegen die wirklich wichtigen weltpolitischen Weichenstellungen der Regierung, soll das signalisieren.
- 9:37: Immer wieder betont Scholz DIESE Bundesregierung. Feiert das 9-Euro-Ticket, dass dem ÖPNV neues Leben gegeben habe. DIESE Bundesregierung räume auf mit den übernommenen Problemen. Fast einhundert Gesetze habe DIESE Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht. „Sie reden von Entlastung und stimmen dann dagegen. Wir setzen Entlastung um. Und dann stellen Sie sich hin auf dem CDU-Parteitag und erklären, nicht die letzten zwei Jahre seinen das Problem, sondern die letzten sechzehn Monate der Ampel. Da kann ich nur sagen: Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen“, ruft Scholz in den Saal und nimmt seine Metapher aus Alice im Wunderland wieder auf. Anders als Merz, der vor allem mit seinen dramatischen Pausen im Redefluss Bedeutungsschwere aufbaut, wird Scholz immer schneller, versucht ein Stakkato abzufeuern aus Erfolgen und Angriffen auf die Opposition. Der CDU-Chef ruft nur spöttisch: „Wer hat Ihnen DAS denn aufgeschrieben?!“
Zwischenfazit
Es ist Feuer in dieser Generaldebatte – und dafür sorgen sowohl Merz als auch Scholz. Der Bundeskanzler ist im ungewohnten Angriffsmodus. Während Merz einige harte Treffer landen konnte, wirkt Olaf Scholz mit seinen wiederkehrenden Vorwürfen an die Union manchmal schwach – immerhin ist er es, der regiert. Sein Abarbeiten der echten und angeblichen Erfolge und das Verbuchen für sich kann auch nicht die Versäumnisse verschleiern, die der Oppositionsführer klar benannt hat.
- 9:47: Es folgt das Pflichtprogramm der eigenen Erfolge: Erhöhung des Mindestlohns, geringere Abgaben für Geringverdiener, Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags, „die größte Wohngeldreform in der Geschichte unseres Landes“… „Genauso holen wir Leute aus der Grundsicherung, die ein Leben lang hart gearbeitet haben.“ Seine Regierung tue mehr für die Leute, die hart arbeiten, als jede Unionsgeführte Regierung vorher, sagt Scholz. Wir gut, ihr schlecht, möglichst pauschal – kann man immer bringen, freut die eigenen Leute, klingt hart und bedeutet im Grunde wenig. Die Steuerenetlastungen, die auf Betreiben der FDP auf den Weg gebracht wurden, rechnet sich der Kanzler ebenso an, wie die Abschaffung der „kalten Progression“, bei der Lohnerhöhungen sofort von höheren Steuern aufgefressen werden.
- 9:48: Die Energie für den kommenden Winter sei gesichert, sagt Scholz und dankt den Bürgern für ihren Beitrag, für Sparsamkeit und Gemeinsinn. Auch das kommt immer gut: Den „Menschen draußen im Lande“ danken und zeigen, dass man den Alltag nicht vergessen hat. „Sie wissen gar nichts“, ruft eine AfD-Abgeordnete dazwischen. Scholz marschiert weiter stoisch durch seine Rede. Lobt seinen „Doppel-Wumms“ mit 200 Mrd. und die neuen Terminals für Flüssiggas, die demnächst arbeitsfähig sein sollen. Dann folgt der Dank an den Wirtschaftsminister und den Finanzminister, seine beiden Koalitionspartner. Botschaft: Alle Parteien der Koalition halten zusammen, wer von einem Bruch und Rissen im Gebälk der Ampel träumt, liegt falsch.
- 9:54: Ein weiter so könne es nicht geben, so Scholz, der seine Koalition gern als Bündnis für Aufbruch und Modernisierung stilisieren will. Er habe gerade bewusst Merz angeschaut, sagt er dann. „Die Partei des weiter so sitzt jetzt in der Opposition“, sagt Scholz, „da gehört sie auch hin!“ Ein gut vorbereiteter Gag, der gut ankommt in den Reihen der Koalition und in der Union zu Tumulten und Empörung führt. Ein wohlfeiles Polit-Theater und doch auch Würze für Debatten wie diese.
Scholz im Angriffsmodus
Selten erlebt man den Bundeskanzler mit so viel Emotion, Angriffslust und Rhetorik. Zweifellos hat er sich gut vorbereitet. Ob er der Union eine „Alice im Wunderland“-Politik vorwirft oder sie als Partei des „Weiter so“ tituliert – man merkt, dass Scholz gleiches mit gleichem kontern und gegen seinen Rivalen Merz in den Gegenangriff gehen will.
- 9:57: Die Mehrheit wolle klimaneutrales Wachstum. „Genau das streben wir an, und das werden wir auch schaffen.“ Seine Regierung behebe die Defizite einer rückwärtsgewandten Verkehrspolitik, Handelspolitik, Wohnungspolitik… überall löse die Ampel Blockaden, sagt Scholz.
- 9:59: „Gefragt sind harte Arbeit, gefragt sind Aufbruch und Fortschritt. Dafür steht diese Bundesregierung“. Scholz kommt zum Ende seiner Rede. „Krisenfest und Winterfest ist Deutschland schon“, behauptet er – „dank der Arbeit dieser Bundesregierung“. Lauter Applaus aus den Koalitionsfraktionen – Scholz verlässt das Pult. Zufrieden setzt er sich wieder auf seinen Platz und nimmt einen Schluck aus dem Wasserglas.
- 10:00: Nun spricht die AfD-Vorsitzende Alice Weidel. In den Reihen der Abgeordneten beginnt jetzt das große Schlendern aus dem Saal – so weit geht der Respekt vor der Debatte bei vielen dann doch nicht.
Live-Berichterstattung beendet