
Bisher konnten Netzbetreiber ihren Kunden den Strom abschalten, um eine Überlastung des Netzes zu verhindern aber auch nur, wenn es vertragliche Absprachen zwischen den Betreibern und den Unternehmen gab. Entsprechende Regelungen sind jetzt ausgelaufen. Nun droht im Ernstfall die willkürliche Komplettabschaltung.
Im Jahr 2013 wurde mit der „Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten“ ein neues Instrument geschaffen, um die Energieversorgung sicherer zu gestalten. Sie regelte, dass die Netzbetreiber sich mit Kunden über sogenannte „abschaltbare Lasten“ einigen konnten. „Abschaltbare Lasten“ sind eine gewisse Menge an Lieferenergie, die ein Energienetzbetreiber bei bestimmten Kunden im Bedarfsfall aussetzen kann. Konkret bedeutet das: Wenn im Netz durch einen Zwischenfall, wie z. B. das Ausbleiben von Windenergie, eine Stromlücke entsteht, wurde den Industriebetrieben für einen kurzen Zeitraum der Saft abgedreht. Das konnte z. B. in einer Zementfabrik sein – oder, für Sekundenbruchteile, in einem Kühlhaus.
Wichtig ist, dass die „Lastabwürfe“, wie die Abschaltungen genannt wurden, in geeigneten Betrieben stattfanden. Und das nicht aus heiterem Himmel: Mit den betroffenen Firmen wurden Lastabwürfe im Vorhinein abgesprochen. Laut der Verordnung erhielten sie sowohl für die ausbleibende Stromstärke als auch den tatsächlichen Verbrauch eine entsprechende Vergütung. Wie die Bundesnetzagentur berichtet, kam es von 2017 bis 2020 zu insgesamt 259 Stromabschaltungen. 2021 und 2022 gab es 61 „abgesprochene“ Abschaltungen – allerdings nur bis zum 30. Juni 2022. An diesem Tag trat die Verordnung außer Kraft.
Seitdem gilt im Ernstfall wieder das Energiewirtschaftsgesetz. In Paragraf 13.2 regelt es, dass „sofern die Sicherheit oder Zuverlässigkeit“ der Energieversorgung gefährdet ist, Netzbetreiber „berechtigt und verpflichtet“ sind, Stromempfängern den Saft abzudrehen. Das kann Großbetriebe umfassen, aber auch Privatkunden. „Wir halten es für falsch, dass die Bundesregierung das Instrument wissentlich aus der Hand gegeben hat“, sagt Franziska Erdle von der Wirtschaftsvereinigung Metalle gegenüber der Welt. Wenn es zukünftig zu Lücken in der Stromversorgung kommt – z. B. durch Umweltfaktoren wie Wind, Sonne, Wasser – kann das wieder heißen: Stillstand in der Fabrik. Nur dieses Mal ohne Vergütung, ohne Vereinbarung und ohne Vorankündigung.