Palästinensische Terroristen, wie die der jüngsten Anschläge in Jerusalem, interessieren sich nicht für jüdische Siedlungen, sondern lehnen die ganze Existenz des Staates Israel ab. Das sagt Oded Revivi, Bürgermeister der israelischen Siedlung Efrat. Orte wie seiner seien kein Friedenshindernis, denn antisemitischen Terroristen ist egal, ob Juden in Tel Aviv oder im sog. Westjordanland leben.
Außerdem erklärt Revivi, Mitglied der regierenden Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanyahu, die Hintergründe der umstrittenen Pläne zur Justizreform – und die Unterschiede zu Ländern wie Deutschland.

Hierzulande wird die neue israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu nur zu gerne dämonisiert. Die israelische Demokratie sei in Gefahr, hieß es schon von der ARD. Häufig fällt das sogar das Wort „rechtsradikal“. Selbst als es um die jüngsten Terroranschläge ging, war in einem Tagesschau-Kommentar die Rede davon, dass diese blutigen Attacken der neue Regierung „dienen“ würde, u.a. um neue Siedlungen zu bauen. Währenddessen heißt es, die geplante Justizreform der neuen Regierung bringe das Land auf den Weg des Autoritarismus. Kurzum: Die neue israelische Koalition wird in Deutschland bei jeder Gelegenheit verteufelt.
Daher habe ich mit Oded Revivi, Mitglied in Netanyahus regierender Likud-Partei und Bürgermeister von Efrat, einer Siedlung südlich von Jerusalem, gesprochen: Einerseits über die Siedlungspolitik, andererseits über die Justizreform und die Rolle des Obersten Gerichts in der israelischen Politik.
Pleiteticker.de: Sie sind Bürgermeister einer Siedlung in Judäa und Samaria, im sog. Westjordanland. Glauben Sie, dass es die Gefahr gibt, dass der Terror weiter eskaliert und wir mehr Terroranschläge, z.B. auch in Judea und Samaria sehen?
Oded Revivi: Grundsätzlich gilt, wenn wir über Terroranschläge sprechen – und letztes Wochenende war eine Erinnerung daran: Die schweren Terroranschläge mit vielen Toten passieren in den Gebieten, die völlig unumstritten zu Israel gehören.
Es scheint wie ein gewisser Widerspruch – und beweist aber, dass sich die Terroristen nicht wirklich für die jüdischen Siedlungen in Judea und Samaria interessieren, sondern sie lehnen die ganze Existenz des Staates Israel ab. Und deshalb begehen sie die Terroranschläge in Jerusalem, und in der Vergangenheit in Tel Aviv, Haifa, usw.
Es geht nicht darum, wo die Juden leben, sondern nur um die Existenz des Staates Israel.
Es hieß hierzulande in deutschen Medien, z.B. in der Tagesschau, dass die israelische Regierung die Anschläge ausnützen könnte, um Siedlungen zu erweitern. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Menschen, die über etwas reden und Terroristen, die kommen und Zivilisten töten. Die Tatsache, dass die Terroristen einfach unschuldige Zivilisten ermordet haben, zeigt, dass es ihnen nicht um Politik geht, sondern sich der Terror dagegen richtet, dass Juden ein Recht haben, hier zu leben. Und ich würde hoffen, dass die internationale Gemeinschaft das versteht.
Erklären sie als Bürgermeister einer Siedlung bitte einmal die Situation in Judea und Samaria. Hier in Deutschland sieht die Bundesregierung diese ja als illegal. Und was denken sie über in der Vergangenheit diskutierte Pläne bezüglich der Ausweitung von Siedlungen oder deren mögliche formale Annexion durch Israel?
Ich denke, ich habe ein sehr gutes Argument, genau wie der Staat Israel, dass die Siedlungen kein Hindernis für den Frieden sind und definitiv nicht gegen das Völkerrecht verstoßen – aus verschiedenen Gründen:
Angefangen bei der Tatsache, dass diejenigen, die sagen, dass sie gegen das Völkerrecht verstoßen, ihr Argument auf die Tatsache stützen, dass sie auf besetztem Land gebaut sind. Das einzige Problem mit diesem Vorwurf des besetzten Landes ist, dass, wenn wir in der Geschichte nachsehen, wer die Besatzer, die Eigentümer oder die Besitzer dieses Landes waren, bevor Israel hier war, wir herausfinden werden, dass es zum Beispiel die Jordanier waren, davor war es das britische Mandat, und davor war es das türkische Reich. Und alle diese Länder haben eine schriftliche Verzichtserklärung unterschrieben, dass sie keinen Anspruch auf dieses Land erheben. Im besten Fall handelt es sich also um umstrittene Gebiete, aber man kann es nicht als besetztes Land bezeichnen, weil der frühere Eigentümer eine schriftliche Verzichtserklärung unterzeichnet hat, dass er keinen Anspruch auf dieses Land erhebt.
Die zweite Sache ist, dass der Vorwurf, die Siedlungen seien ein Hindernis für den Frieden, einfach nicht stimmt, denn vor 1967, bevor es überhaupt eine jüdische Stadt in Judäa und Samaria gab, gab es genauso wenig Frieden, also ist es ein bisschen ironisch, jetzt das zu beschuldigen, was hier ist. Ich meine, in dieser Hinsicht war Israel sehr bemüht, ein Friedensabkommen zu erreichen. Es bot zwischen 92-98 Prozent des Landes an, und diese Angebote wurden abgelehnt, also kann man nicht wirklich die Siedlungen dafür verantwortlich machen, dass sie ein Hindernis für den Frieden sind.
Und das dritte Argument ist die Expansion. Ich gehörte zu den Befürwortern von Trumps „Jahrhundertdeal“, weil ich der Meinung war, dass es der erste echte Versuch war, eine neue Landkarte zu erstellen, die der Realität vor Ort entspricht, sowohl von den Juden als auch von den Arabern, und nicht zu versuchen, die Realität in historische Landkarten zu zwingen, denn das bedeutet Zerstörung und Schmerz für viele Privatpersonen. Der „Deal des Jahrhunderts“ ist leider nicht zustande gekommen, aber vor Ort gibt es immer noch Fakten, die von beiden Seiten geschaffen werden, und ich denke, die Regierung muss sowohl für die wachsende arabische Bevölkerung als auch für die wachsende jüdische Bevölkerung Antworten finden. Die neue israelische Regierung wurde mit den Stimmen von Menschen gewählt, die Antworten auf die Bedürfnisse der jüdischen Bevölkerung in Judäa und Samaria sehen wollen.
Wenn Sie mich fragen, ob dies zu einer Annexion führen wird, dann glaube ich nicht, dass die israelische Regierung angesichts der derzeitigen US-Regierung in der Lage ist, eine solche Initiative voranzutreiben, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es einen Politikwechsel im Vergleich zur vorherigen Regierung geben wird.
Kommen wir zu einem anderen brisanten Thema: Können Sie uns kurz den politischen und rechtlichen Hintergrund der Debatte rund um den Obersten Gerichtshof Israels erklären?
Als Israel 1948 gegründet wurde, gab es die Forderung, eine Verfassung zu verabschieden. Letzten Endes hat man sich aber entschieden, erst einmal keine formale Verfassung niederzuschreiben. Stattdessen wurden Gesetze erlassen, die als Grundgesetze bezeichnet werden. Die Idee war, dass diese Gesetze eines Tages zu einer Verfassung zusammengefügt werden könnten. In den ersten Jahren des Landes waren diese Grundgesetze sehr harmlos, es gab ein Grundgesetz für eine Regierung, ein Grundgesetz für den Obersten Gerichtshof und ein Grundgesetz für den Präsidenten. Sie definierten und führten im Grunde die verschiedenen Institutionen des Staates ein.
Zu Beginn der 1990er Jahre wurde unter dem Radar ein neues Grundgesetz erlassen, das die Grundrechte und -freiheiten jedes Einzelnen definiert. Und ich sagte, dass es unter dem Radar verabschiedet wurde, weil niemand wirklich die spätere Bedeutung hinter diesem Gesetz erkannte und niemand voraussah, was mit diesem Gesetz geschehen würde.
Denn schon bald danach verwandelte der neue Präsident des Obersten Gerichtshofs, Aharon Barak, dieses Gesetz in eine Eintrittskarte dafür, dass absolut alles vor dem Gericht verhandelt werden konnte. Bis dahin gab es Vorfälle, in denen der Oberste Gerichtshof sagte: Dieser Streitfall ist nichts, was vor Gericht verhandelt werden könnte, dieser Streitfall hat keine rechtliche Frage. Aharon Barak führte eine neue Vorstellung ein und sagte, dass alles verhandelt werden kann: Er interpretierte das also als eine Vetomacht des Gerichts über alles, was das Parlament tut.
Nur um das klarzustellen: Israel hat, wie zum Beispiel das Vereinigte Königreich, keine geschriebene Verfassung. Aber weil es keine Verfassung gibt, können die Gerichte im Vereinigten Königreich die vom Parlament erlassenen Gesetze nicht anfechten. In Israel tun sie genau dies aktuell, obwohl Israel ebenso keine geschriebene Verfassung hat?
Ja, anders als in England, wo sich die Gerichte nicht einmischen, hat sich in Israel das Gericht eingeschaltet. Und als Teil der Neuordnung des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Organen des Landes hat der Oberste Gerichtshof plötzlich eine übergeordnete Position eingenommen, in der er sagen kann, ob die Gesetze legal sind oder nicht, ob die politischen Entscheidungen, die getroffen wurden, vernünftig sind oder nicht.
Dies brachte die Regierung in einigen Situationen in eine problematische Lage, denn wenn es eine politische Einigung zwischen den verschiedenen Parteien darüber gab, wie ein bestimmtes Thema zu behandeln sei, kam plötzlich der Oberste Gerichtshof und entschied, dass die Entscheidung nicht „vernünftig“ sei, und die Regierung hatte keine Handhabe mehr, um mit dem Problem umzugehen.
Und die Kritik an diesem Vorgehen des Gerichts ist nicht erst heute entstanden, sondern hat sich in den letzten 30 Jahren aufgebaut, als es immer mehr Beispiele für Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gab, die verschiedene Teile der Bevölkerung verärgerten.
Es ging zum Beispiel um illegale Einwanderer, die nach Israel kamen, und die Regierung entschied, dass sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden sollten. Der Oberste Gerichtshof sagte nun, dass sie nach diesem Grundgesetz nicht in ihr Land zurückgeschickt werden dürfen. Das Land sah sich mit vielen Menschen konfrontiert, die illegal nach Israel einwanderten, und Israel hatte keine Möglichkeit, seine Grenzen zu schützen. Doch bisher gab es nie eine Gelegenheit, eine Reform des Obersten Gerichtshofs voranzutreiben.
Was ist also bei der Justizreform der neuen Regierung geplant?
Die wichtigsten Punkte der neuen Initiative des Justizministers sind die folgenden:
Erstens werden die Gerichte nicht mehr in der Lage sein zu sagen, was „vernünftig“ ist und was nicht. Warum? Wer hat denn entschieden, dass die 11 Richter des Obersten Gerichtshofs besser wissen, was angemessen ist und was nicht? Letztendlich sitzen die Volksvertreter im Parlament, und wenn sie etwas beschließen, dann wissen sie, was „vernünftig“ ist und was nicht.
Der zweite Punkt ist: Das derzeitige System der Richterwahl zu ändern, das den Richtern des Obersten Gerichtshofs derzeit ein Vetorecht bei der Ernennung der Kandidaten einräumt. Wenn aktuell ein bestimmter Kandidat von den Richtern des Obersten Gerichtshofs nicht akzeptiert wird, ernennen sie ihn nicht zum Richter am Obersten Gerichtshof, was dazu führte, dass der Aufbau des Obersten Gerichtshofs kritisiert wurde: Es waren hauptsächlich Leute von der gleichen Seite, mit dem gleichen Hintergrund, mit dem gleichen finanziellen Status, die nicht unbedingt die verschiedenen Teile der Gesellschaft repräsentierten.
Der dritte Punkt ist: Wir haben eine Art Schlupfloch, wir haben einen Rechtsberater der Regierung, der auch der Generalstaatsanwalt ist. Und wir befinden uns in der widersprüchlichen Position, dass der Rechtsberater der Regierung morgens am Kabinettstisch sitzt, den Minister berät und dann am Nachmittag vielleicht ein Papier auf dem Tisch hat, bei dem er entscheidet, ob er Anklage gegen den Premierminister oder einen der Minister erheben soll. Der Vorschlag lautet also, diese beiden Positionen zu trennen.
Und ein weiterer Punkt ist die so genannte Überstimmungsklausel.
Genau, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Wenn also ein Gesetz vor den Obersten Gerichtshof kommt und dieser es für ungültig erklärt, soll das Parlament die Möglichkeit bekommen – wenn 61 von 120 Abgeordneten dies unterstützen – die Entscheidung des Gerichts aufzuheben. Selbst wenn das Gericht das Gesetz für ungültig erklärt, bleibt es in Kraft, weil es die Mehrheit von 61 Knesset-Abgeordneten hat.
Diejenigen, die gegen die Aufhebungsklausel sind, wollen eine größere Mehrheit von 70 oder 80 Knesset-Abgeordneten haben, um eine Gerichtsentscheidung aufzuheben. Aber wir wissen, dass wir in einer Koalition sehr knappe Mehrheiten haben, so dass eine Aufhebung fast unmöglich ist. Deshalb wird derzeit vorgeschlagen, dass 61 Abgeordnete erforderlich sind, um eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs außer Kraft zu setzen.
Sie müssen wissen, dass das Grundgesetz, auf das sich der Oberste Gerichtshof beruft, um andere Gesetze aufzuheben, nur von 35 Mitgliedern der Knesset verabschiedet wurde. Niemand hat sich wirklich für diesen Gesetzestext interessiert. Sie werden kein Land finden, in dem die Verfassung von etwas mehr als einem Viertel der Parlamentsmitglieder verabschiedet wird. Nur 35 Mitglieder des Parlaments stimmten für dieses spezielle Gesetz. Es macht wirklich keinen Sinn, dass sie es als etwas sahen, was die Verfassung des Staates Israel werden sollte.
Der Oberste Gerichtshof Israels hat also beschlossen, das zu tun, was in Deutschland das Verfassungsgericht macht – aber in Israel gibt es eben gar keine Verfassung, sondern nur Gesetze. Daher macht das also keinen Sinn – das ist ihre Sicht, oder?
Ja, absolut.
Vielen Dank für Ihre Zeit, Bürgermeister Revivi!
Kein Problem. Danke!