
Lernen mit Mütze und Winterjacke – bald wieder traurige Realität an deutschen Schulen. Es wird kalt in den Klassenräumen, denn das Corona-Stoßlüften trifft nun auch noch auf Energiespar-Pläne. Es gilt: Heizung runter und Fenster auf – sobald das CO₂-Messgerät piept. In Heppenheim verteilte die erste Schule jetzt sogar Decken an ihre Schützlinge. Die pleiteticker-Übersicht: In diesen Städten müssen Kinder besonders unter dem Energiespar-Wahnsinn leiden:
Berlin:
- an einer Berliner Oberschule werden in jeder Klasse Energiesparbeauftragte ernannt
Heppenheim:
- Förderverein der Martin-Buber-Grundschule verteilt 50 Kuscheldecken
- Weiterführende Schulen: 19 Grad, Grundschule 20 Grad,
- 15 Grad auf Fluren, 17 Grad in Turnhallen & Umkleiden
Dortmund:
- Schulen werden mit CO2-Messgeräten ausgestattet
- Dortmunder OB forderte Temperatursenkungen auch in Schulen in Betracht zu ziehen
Leipzig:
- Oberschulen 20 Grad, Grundschulen 21 Grad, Turnhallen maximal 17 Grad
- kein Warmwasser für weiterführende Schulen
- Gänge, Flure und Treppenhäuser sollen nicht beheizt werden
- Info-Flyer zum Stromsparen
Salzburg:
- Kein Warmwasser für das Händewaschen in Schulen und Kindergärten
Esslingen:
- Klassenzimmer auf 20 Grad
Von Pauline Schwarz.
Kinder kommen in Deutschland immer zuerst. Allerdings nur, wenn es darum geht zu sparen und zu beschränken – das haben die Schüler in zwei Jahren Corona sehr deutlich zu spüren bekommen. Kaum Unterricht, keine Treffen mit Freunden oder Schulkameraden, keine Sportvereine, kein Freizeitvergnügen. Jetzt, kaum dass der Winter naht, ist das Wort „Homeschooling” wieder in aller Munde – diesmal allerdings nicht (nur) um die Kinder vor einem fiesen Schnupfen zu bewahren, sondern um Energie zu sparen.
Beim kürzlichen Treffen der Kultusminister sicherten diese zwar zu, dass die Schulen nicht nur offen, sondern auch warm bleiben sollen, aber wer soll ihnen das alles noch glauben? Beinah jedes Versprechen an Schüler wurde während Corona gebrochen – warum sollte man das jetzt, wo Corona und Energiekrise aufeinandertreffen, nicht wiederholen? Karien Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (CDU), sagte am Rande der Beratungen: „Schulen bleiben in diesem Herbst und Winter auch in der Energiekrise auf jeden Fall geöffnet” – und weiter: „Kinder dürfen in Schulen nicht frieren”. Die gute Frau wird vor lauter Arbeit gar nicht mitbekommen haben, dass die Kinder bereits im letzten Winter gefroren haben. Und sie werden auch diesen Winter wieder frieren – die offene Frage ist: Zuhause, wo Mama aus Geldnot die Heizung abgestellt hat, oder in der Schule? Gehen wir von der steilen These aus, dass die Politik ihre Versprechen gegenüber der Jugend tatsächlich einmal halten sollte und weder wegen Corona, noch wegen Gas- und Strommangel die Schulen schließt, ist das für die rund elf Millionen Schüler in Deutschland trotzdem keine warme Aussicht. Schulen sind von den Heizvorschriften der Energiesparverordnung des Bundes zwar ausgenommen, ab er das bedeutet in den meisten Fällen keine wohlig warmen 24 Grad, sondern 20 Grad Mindestraumtemperatur.
Zum Beispiel in Baden-Württemberg: Dort darf die Temperatur wenn physisch gearbeitet wird, sogar 19 Grad betragen. Jede Schule ist außerdem dazu aufgerufen, individuell Energie zu sparen – indem man etwa ungenutzte Klassenräume, Flure oder Treppenhäuser weniger oder gar nicht beheizt und beleuchtet. Auch in Heppenheim gilt für weiterführende Schulen 19 Grad Klassenklima – Grundschüler dürfen immerhin noch bei 20 Grad frieren. Um den Kleinen gegen den Frost etwas Schutz zu bieten, teilte der Förderverein der Martin-Buber-Schule jetzt sogar 50 Kuscheldecken aus – verziert mit dem Schullogo.
Die werden die Kinder brauchen, immerhin gilt nicht nur 19 bzw. 20 Grad, sondern zusätzlich noch die Empfehlung des Umweltbundesamtes: Alle 20 Minuten soll in den Klassenräumen gelüftet werden. Mindestens, denn immer mehr Schulen, unter anderem in Dortmund, schaffen sich CO₂-Messgeräte für die Klassenräume an. Die Geräte sollen auf mangelnden Luftaustausch hinweisen und zeigen an, wann und wie lange Lehrkräfte die Fenster zum Lüften öffnen sollen – so könne man angeblich sogar Energie sparen.In einem vollen Klassenzimmer springen die Geräte in Wirklichkeit aber schneller auf Rot – laut Schulleiter Daniel Krüger aus Bretten in Kreisgau schalten die CO₂-Ampeln, die sie überall aufgestellt haben, oft schon nach zehn Minuten auf Rot. Die Kinder dürfen sich also auf Dauerlüften einstellen – auch bei Minustemperaturen.Unabhängig vom – anscheinend wenig zählenden – Wohl der Kinder, ergibt sich dabei aber ein Dilemma: Das Stoßlüften erhöht den Energieverbrauch. Laut dem Deutschen Lehrerverband steigert es den Verbrauch an Heizenergie um bis zu 20 Prozent. Aber keine Sorge, das Umweltbundesamt hat eine Antwort parat: Es rief dazu auf, die Nutzung mobiler Luftfilter auf das Nötigste zu begrenzen – und nur zu lüften. Oder mehr zu lüften? Die ganze Situation ist absurd. Man will Corona bekämpfen und gleichzeitig Energie sparen. Ob Kinder in der Schule noch das bisschen Rest an Bildung erhalten, das das deutsche Schulsystem bieten kann, interessiert derweil genauso wenig, wie ihre körperliche und psychische Gesundheit.