In der westlichen Gesellschaft unvorstellbar, für einen japanischen Wissenschaftler zumindest als Gedankenspiel die Lösung demographischer Probleme: Yusuke Narita von der US-Universität Yale hat eine Debatte über den Massensuizid von Senioren angestoßen. In den sozialen Medien machten ihn seine radikalen Äußerungen zum Star.

Der japanische Wirtschaftswissenschaftler Yusuke Narita (37) von der renommierten US-Universität Yale hat sich der Frage angenommen, wie man mit dem demografischen Wandel in Japan umgehen sollte. Klingt erstmal harmlos, seine Lösung ist jedoch nicht. „Ich habe das Gefühl, dass die einzige Lösung ziemlich klar ist“, sagte er Ende 2021 während einer Nachrichtensendung. „Ist es am Ende nicht Massenselbstmord und Massen ‚Seppuku‘ älterer Menschen?“ Seppuku ist ein Akt des rituellen Selbstmords, der im 19. Jahrhundert ein Code unter entehrten Samurai war.
Verpflichtender Suizid als Möglichkeit für die Zukunft
Der Massenselbstmord müsste gegebenenfalls sogar gesetzlich festgeschrieben werden. „Die Möglichkeit, es in Zukunft verpflichtend zu machen“, sagte er in einem Interview, „wird zur Diskussion stehen.“ Dabei erfreut sich Dr. Narita besonders unter jungen Japaner einer gewissen Beliebtheit. Der klare Tabubruch und sein lässiges Auftreten in T-Shirt oder Kapuzenpullover haben ihm über eine halbe Million Follower auf Twitter eingebracht. Doch nicht nur junge Japaner sympathisieren mit dem 37-jährigen Wissenschaftler. Laut der New York Times zeigen einige Umfragen in Japan eine Mehrheit für die Einführung der freiwilligen Sterbehilfe.
Die Idee, Rentner loszuwerden, kamen bereits vor Jahren auf. Der frühere Finanzminister Taro Aso forderte, alte Menschen sollen „sich beeilen und sterben“. Mittlerweile hat Dr. Narita seine Aussagen zurückgezogen, sie seien „aus dem Kontext gerissen“ worden. Die Begriffe „Massenselbstmord“ und „Massenseppuku“ seien „eine abstrakte Metapher“, sagte er gegenüber der New York Times. Er habe über die Begriffe reflektiert und aufgehört, diese zu benutzen. In der Zukunft wolle er vorsichtiger sein.
Bundesverfassungsgericht: „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 soll noch dieses Quartal eine neue Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland gefunden werden. Vor drei Jahren kippten die Richter in Karlsruhe das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Dabei leitet das Gericht aus dem Grundgesetz ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ ab. Seitdem ist die assistierte Sterbehilfe in Deutschland eine rechtliche Grauzone. Im Bundestag haben sich drei Gruppen mit Vorschlägen gebildet.
Aktive, assistierte, passive und indirekte Sterbehilfe
Auch nach dem Urteil bleibt die aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten. Dabei sprechen Juristen von der Verabreichung eines tödlichen Medikaments durch Dritte. Noch fällt dies unter Mord. Die assistierte Sterbehilfe hingegen befindet sich durch das Urteil in der Grauzone. Dahingegen sind die passive Sterbehilfe, also der Verzicht auf lebensverlängernden Maßnahmen sowie die indirekte Sterbehilfe, die Einnahme von Medikamenten, welche das Leben verkürzen, legal.
FDP-Politikerin Helling-Plahr: „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“
Könnte auch Dr. Narita gefallen: Um die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr hat sich eine Gruppe von 68 Abgeordneten gegründet. Ihr Gesetzesentwurf fordert ein „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“. Demnach soll jeder sein Leben beenden dürfen, der dies aus freiem Willen möchte. „Wir haben da als Staat nichts zu steuern. Wir haben nicht dafür zu sorgen, dass es mehr oder weniger Suizide gibt, wenn sie selbstbestimmt sind“, sagt Katrin Helling-Plahr. Sterbewillige sollen nach frühstens zehn Tagen nach einer Beratung tödliche Medikamente erhalten können.
Auch die Initiative um Renate Künast (Grüne) plant, das Recht auf Selbstbestimmten Sterben zu stärken. Allerdings fordert ihre Gruppe aus 45 Abgeordneten eine Beratungspflicht von zwei Monaten vor. Zusätzlich sollen Patienten auf alle leidmindernden medizinischen Mittel hingewiesen werden und den Sterbewunsch schriftlich fixieren.
SPD-Politiker Castellucci: „Suizidprävention stärken, selbstbestimmtes Leben ermöglichen“
Die größte Initiative stammt von SPD-Politiker Lars Castellucci. Die 85 Abgeordneten um Castellucci planen, den Assistierten Suizid strafbar zu halten. Nur unter bestimmten Voraussetzungen soll er erlaubt sein. Der Patient muss volljährig sein und sich zwei Beratungsgespräche durch einen Facharzt für Psychiatrie unterziehen. Damit möchte man Druck durch Erkrankungen, plötzlichen Krisen, nahestehenden Personen und gesellschaftlichen Entwicklungen ausschließen. „Flächendeckende Suizidberatungsstellen sind Suizidförderungseinrichtungen“, sagt Castellucci. „Je mehr Möglichkeiten und Angebote es gibt, je leichter erreichbar Suizide sind, umso mehr Suizide wird es geben.“