Am 11. März 2011 ereignete sich im Westpazifik ein historisches Erdbeben. Über 19.000 Menschen starben beim Tōhoku-Beben vor der nordöstlichen Küste Japans. Es ist mit einem Wert von 9,1 auf der Richterskala eines der stärksten Erdbeben der Geschichte – und führte selbst am anderen Ende der Welt zu schweren Verwerfungen.

Am vergangenen Wochenende jährte sich die größte Nuklearkatastrophe seit Tschernobyl. Nach einem Erdbeben und einem anschließenden Tsunami kam es im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi zum GAU – vier von sechs Reaktorblöcken des Kraftwerks wurden zerstört.
Fukushima wurde zum neuen Fanal der Anti-Atom-Bewegung, zum Kronzeugen für die angebliche „Unbeherrschbarkeit“ der Kernenergie. Schnell griff die Angst um sich. Nicht unbedingt in Japan. Dort wurden zwar Zehntausende evakuiert – doch langfristig hatte die Atomkatastrophe vor allem Folgen auf der anderen Seite der Erdkugel. Das panische Deutschland evakuierte seine Botschaft als eines der ersten Länder überstürzt nach Osaka – auch, wenn Tokio rund 290 Kilometer vom Unglücksort entfernt liegt. Es sollte ein Vorgeschmack auf das sein, was noch folgte: Ein 82-Millionen-Volk am anderen Ende der Welt schien sich von der Katastrophe ärger betroffen zu fühlen als die Japaner selbst.
Merkels Rolle rückwärts: Die „neue Lage“, die keine war
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit ihrer Bundesregierung die AKW-Laufzeiten gerade erst verlängert hatte, postulierte eine „neue Lage“ – und machte ihre wohl berühmteste Rolle rückwärts. An der „Lage“ hatte sich faktisch freilich nichts verändert. Merkel, mit ihren Überzeugungen bekanntlich flexibel und stets an den jüngsten Umfragen orientiert, fürchtete aber plötzlich um die Staatskanzlei im historisch schwarz regierten Baden-Württemberg. Zurecht, wie sich zeigen sollte. Schnell setzte sie eine ,Kurskorrektur‘ im Bund durch, forderte nun doch einen schnellen Atomausstieg. Merkels Manöver brachte ihr parteitaktisch zunächst nichts – die CDU verlor die Wahl im Ländle und musste das Ministerpräsidentenamt ausgerechnet für einen Grünen räumen. Dafür sabotierte es die Energiesicherheit einer der größten Industrienationen der Erde. Das Kernkraft-Moratorium, sagte Merkel im Bundestag, sei Ausdruck äußerster Vorsorge zum Schutz der Menschen in Deutschland. Der damalige Oppositionsführer Sigmar Gabriel warf ihr vor, sie versuche nur „wahltaktisch mit den Ängsten der Menschen umzugehen“. Recht hatte er.
Sogar der Spiegel erkannte schon 2011, welche Problematik da auf das Land zukommen würde. „Technisch wäre ein rascher Ausstieg möglich, sagen Experten, sogar noch bis zum Ende dieses Jahrzehnts“, schrieb das Magazin aus Hamburg damals. „Auch die Bürger hätten unter dem Eindruck der drohenden Nuklearkatastrophe in Fukushima nichts dagegen, wie die letzten Umfragen zeigen. Doch die Umsetzung würde einen gigantischen Kraftakt bedeuten – politisch, gesellschaftlich und finanziell. (…) Die Verbraucher werden die Energiewende mit Sicherheit spüren.“ Der Spiegel sollte Recht behalten. 2011 kostete die Kilowattstunde Strom 12,7 Cent. Jetzt, zwölf Jahre später, hat sich der Preis mit 34,60 Cent pro Kilowattstunde fast verdreifacht.
Schädlicher als die Strahlung selbst: Die Angst vor ihr
Der US-Mediziner Robert Gale, der 1986 in Tschernobyl die ärztliche Hilfe im Auftrag der sowjetischen Regierung koordiniert hatte, kritisierte nach dem Unglück „Panikreaktionen“ einzelner Staaten. Schädlicher als die Strahlung selbst sei die Angst vor ihr – diese Aussage bezog er vor allem auf Deutschland. In einem Gastbeitrag im Spiegel formulierte er: „Wer jetzt, wie offenbar die meisten Deutschen, aus der Kernenergie aussteigen will, sollte sich die Alternativen genau vor Augen führen: Wir alle wissen, was es für den Klimawandel bedeutet, wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe nutzen.“
Das Problem löst Deutschland global einzigartig: Wir steigen nicht nur aus der Atom-, sondern auch aus der Kohlekraft aus. Eine Maßnahme, für die sich die Unionsparteien noch vor wenigen Jahren öffentlich feierten: „Deutschland geht weltweit voran! Als einziges Industrieland steigen wir aus Kohle und Kernenergie aus!“, frohlockte die CSU in den sozialen Medien. „Deutschland ist weltweit Spitze beim Klimaschutz!“ Was der Atomausstieg mit Klimaschutz zu tun hat? Eigentlich gar nichts. Doch in der Grünen Gedankenwelt, die die Merkel-Union so gerne bespielt, ist der weiße Rauch, der aus den Kernkraft-Meilern aufsteigt, wahrscheinlich genau so klimaschädlich wie der Qualm aus den Schornsteinen der Kohlekraftwerke, die schnell für die abgeschalteten Meiler einspringen mussten.
Die Atom-Ablehnung ist postfaktisch
Tatsächlich handelt es sich um harmlosen Wasserdampf. Aber die Welt der Grünen war schon vor 2011 eine postfaktische Welt – und seitdem erst Recht. Ausgerechnet diejenigen, die den Klimawandel und all seine Gefahren wie eine Monstranz vor sich hertragen, untergraben eine der größten Chancen, sichere Energieversorgung und geringe Emissionen unter einen Hut zu bringen. Das Märchen von Atomkraft als „Hochrisikotechnologie“ verbreiten die Grünen auch zwölf Jahre nach Fukushima noch mantraartig – während sie gleichzeitig vor der Co2-Katastrophe warnen. Man ist versucht, die Ernsthaftigkeit all dieser Klima-Bekenntnisse zu hinterfragen: Wer wirklich an die unmittelbar drohende Klimakatastrophe glaubt, würde jedes Atomkraftwerk mit Händen und Füßen vor dem Aus bewahren wollen.
„Möglicherweise müssen die Klimaschutzziele revidiert werden, wenn die CO2-freie Atomkraft schneller wegfällt als geplant“, ahnte der Spiegel schon 2011. Heute könnten wir fast ein Drittel der energiebedingten Emissionen und zehn Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland einsparen, wenn wir unsere Kernkraftwerke am Netz gelassen hätten. Wir könnten auch mit Innovationen in der Kernkraft den Weg in eine nicht nur Emissions-, sondern auch Atommüllfreie Energiezukunft ebnen. Einst waren wir auch hier Spitzenreiter.
Jetzt nicht mehr: Atom-Innovation findet jetzt woanders statt. In Frankreich, in Polen, den Vereinigten Staaten, sogar in Japan setzt man auf Kernkraft als Zukunftstechnologie – auch für den Klimaschutz. Wenn Präsident Joe Biden in seinem großen Energiewende-Plan auch der Kernkraft einen wichtigen Platz einräumt, der französische Präsident sich zum Ausbau der Atomkraft in seinem Land bekennt und selbst Japan fleißig an neuen Meilern arbeitet, ist Deutschland ein energiepolitischer Geisterfahrer, der die dümmste Energiepolitik der Welt macht – befindet übrigens das Wall Street Journal. Der Atom-Ausstieg stellt sich bereits sich als größter Fehler der Merkel-Ära, vielleicht als größter politischer Fehler in der Geschichte der Bundesrepublik heraus.