
In ganz Berlin sind aktuell riesige Plakate der Bundesregierung ausgestellt. Darum brüstet sich die Ampel mit ihren Erfolgen in der Strom- und Gaskrise und will sich für Maßnahmen feiern lassen, die bereits Monate alt sind. Einfach Geldverschwendung, schon Propaganda oder doch sogar unterschwellige Wahlbeeinflussung? Robert Habeck klopft sich derweil bereits auf die Schulter: „Wir sind gut durchgekommen!“ und der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller erklärt die Gaskrise für den Winter für fast beendet. Dabei ist der Winter noch lange nicht vorbei – und die Krise schon gar nicht.
Am 19.09.2022, nun vor fünf Monaten, äußerte Robert Habeck seinen Hoffnung auf „Glück mit dem Wetter“, um „gut durch den Winter zu kommen“. Normalerweise ist der Klassiker unter den Wetterwünschen über die Winter Tage eine weiße Weihnacht, Habeck hoffte im Kontext der Energie- und Gaskrise auf das Gegenteil. Robert Habeck in seiner Funktion als Bundesminister untersteht das Energieministerium, auch wenn es jetzt dank Olaf Scholz nicht mehr so heißt (er benannte das „Bundesministerium für Wirtschaft und Energie“ nach am Tag Habecks Ernennung in „Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz“ um). Als solcher posaunte er mit einer undurchdachten flapsigen Bemerkung in die Welt hinaus, dass die Deutsche Energieversorgung vom Wetter abhängig ist. Als wären wir Steinzeitmenschen in einer Höhle, die beten, dass sie über Nacht nicht zuschneien.
Aber er ist ein Glückskind – der harte Winter bleibe aus. Die Weihnachtstage waren wieder nicht weiß und Berlin kam Ende Dezember auf eine Temperatur im zweistelligen Plusbereich. Man könnte sagen, der Minister für Klimaschutz ist von einer Klimaerwärmung gerettet worden. Bereits im Dezember hat ihn das Glück mit dem Wetter dann auf einmal selbstsicher gemacht. Plötzlich wog er sich in Zuversicht und man hörte Sätze wie: „Wir kriegen die Versorgungssicherheit auch ohne Atomstrom hin“ oder „Im Grunde haben wir den Stresstest jetzt schon einmal bestanden“. „Wir hatten im Grunde jetzt die Situation, vor der wir immer gewarnt haben: wenig Wind, kalte Temperaturen, in Frankreich die AKWs noch nicht wieder am Start. Und wir sind gut durchgekommen!“, erklärte er dem RTL-Politikchef Nikolaus Blume gegenüber vor drei Wochen. Wir wissen vielleicht nicht wo Habeck Ski-Urlaub gemacht hat, aber wenn er diesen Winter bisher als kalt empfunden hat, kann er nicht in Deutschland gewesen sein. Trotzdem brüstet er sich mit dem geschönten Erfolg. „Hochmut kommt vor dem Fall“, ist eben ein Sprichwort das in keinem seiner Kinderbücher auftaucht.
„Ist das der Standard, an dem wir unsere Erfolge messen?“
Robert Habeck ist nicht der Einzige, der jetzt große Töne spuckt. Klaus Müller, seines Zeichens Präsident der Bundesnetzagentur, hält für diesen Winter die Gasmangel-Gefahr für gebannt. Er glaubt nicht, dass jetzt „noch etwas schiefgeht“ und gibt im Interview mit der BILD am Sonntag sogar noch an: „Wir konzentrieren uns jetzt auf den nächsten Winter“. Das klingt erstmal ganz schön – bis man merkt, dass das was hier nicht eingetreten ist, der Wort Case war. Wir hatten keinen größeren Blackout der ganze Landstreifen über Tage ausschaltete, wir haben nicht erleben müssen, was passiert wenn die Gasspeicher leer sind, wir mussten die Wärmehallen nicht nutzen. Aber ist das der Standard, an dem wir unsere „Erfolge“ messen? Ist die aktuelle Situation mit explodierenden Lebensmittel-, Gas- und Energiepreisen schon Normalität geworden?
Was beide Herren wohl aus den Augen verloren haben, ist dass der Winter gerade erst begonnen hat – und der kann noch eisig werden. Die weiße Weihnacht wird zwar immer in den Kinderbüchern beschrieben, das entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Im Gegenteil: Der Dezember ist traditionell warm, der Januar ist durchschnittlich der kälteste Monat des Jahres in Deutschland.
Nur weil die meisten ihre Neujahresvorsätze schon über den Haufen geworfen haben, heißt nicht, dass der schon vorbei ist. Wir stecken noch immer mitten in der Krise, aber die nervt ja bloß. Da muss man sich mit den eigenen Fehlern auseinander setzen und Maßnahmen auf den Weg bringen, die jetzt Wirkung zeigen – nicht erst in 50 Jahren und nur wenn die Statistiken stimmen.
Unsere Politiker haben sich ihre Aufgaben anders vorgestellt.
Stattdessen erklären sie nicht nur die unliebsamen Probleme für beendet, nein sie gehen noch weiter: Sie klopfen sich selbst auf die Schulter, weil das Worst Case Szenario noch nicht eingetreten ist. Im Regierungsviertel ist man sehr zufrieden mit sich und man will, dass sie genauso denken. Unter dem Motto „Gemeinsam für unsere Gesellschaft: Wir entlasten Deutschland“ läuft deshalb eine Kampagne der Bundesregierung, in der in leichter Sprache, vereinfachten Zeichnungen und vielen Euphemismen ganz genau erklärt wird: „Wie die Entlastungspakete der Bundesregierung Sie unterstützen“. Naja, nicht ganz genau. Sie kriegen die Informationen, von denen die Regierung möchte, dass Sie sie bekommen.
Im Zuge dieser Aufklärungskampagne hängen aktuell in ganz Berlin riesige Werbetafeln. Da wo früher noch Unternehmen für ihre Produkte warben – Sie wissen schon, damals als die Wirtschaft noch halbwegs stabil war und sich das leisten konnte – hängt heute Regierungspropaganda im Nord Korea-Style. Schließlich soll die ganze Welt erfahren, wie toll die Regierung ist
Interessantes Timing, denn: Zur Zeit ist Wahlkampf in Berlin. Die Stadt hängt sowie schon mit Wahlkampfplakaten voll. Wohin man auch geht, grinst Franziska Giffey in die Menge, linke Splitterparteien brüllen in grellen Farben in die Welt hinaus, dass sie am 1,5 Grad-Ziel „kleben“, die CDU geht mit der Forderung nach Kriminalitätsbekämpfung ins Rennen.
Da ist es doch schon ein schöner Zufall, dass die Ampel-Regierung gerade zu dieser Zeit mit Eigenlob auf Megaplakaten anfängt. Rot-Grün hat auf Landesebene verbockt, aber wer will sie schon abwählen, wenn er gerade einen Heizkostenzuschuss geschenkt bekommen hat? Besonders auffällig auch, dass der QR-Code unten links auf den Plakaten zu einer Website der Regierung führt, auf der ein großer Anteil der aufgelisteten „Entlastungen“ bereits Schnee von gestern sind. Warum jetzt für eine Mehrwertsteuer-Senkung auf Gas werben, die schon seit Oktober 2022 in Kraft getreten ist?

Während man am oberen Teil auf der Website noch gesiezt wird, („Wie die Entlastungspakete der Bundesregierung Sie unterstützen“), werden die neugierigeren Leser, die tatsächlich über die kleinen Bildchen hinauszurollen und konkrete Fakten haben wollen, plötzlich freundschaftlich geduzt, denn dann heißt es plötzlich: „Damit könnt ihr rechnen“. Wer sich nämlich nicht nur mit vereinfacht aufbereiteten Slogans zufrieden gibt, der verdient keinen Respekt mehr.
Insgesamt 300 Milliarden Euro stellt die Regierung für die Entlastungspakete nach eigener Aussage zur Verfügung. Der Haufen Kohle kommt nicht von irgendwo her, sondern von den Steuerzahlern, das will die Regierung Sie aber lieber vergessen lassen. Sie fühlt sich wohler in der Rolle des barmherzigen Gönners. „Unsere Meilensteine“, die Überschrift auf dieser Website, klingt ja auch besser als: „Wir haben euch jetzt jahrelang mehr als die Hälfte eures hart erarbeiteten Geldes genommen und geben euch jetzt ein bisschen was zurück, aber das meiste werden die kriegen, die kaum oder gar nicht Steuern zahlen.“
Wie die geplanten Maßnahmen konkret aussehen ist man sich noch nicht so ganz einig. Was als „steuerliche Entlastungen“ gefragt und betitelt ist, wird dann im Text plötzlich auf „und vermeiden steuerliche Mehrbelastungen“ reduziert. Also was jetzt? Denn zwischen Steuersenkung und der Vermeidung von Steuererhöhung ist ein himmelweiter Unterschied. Auch traurig, was aus dem Wahlversprechen von Christian Lindner à la „jegliche Steuererhöhungen“ sind ausgeschlossen, jetzt noch übrig geblieben ist. Sie geben ihr bestes erstmal nix zu Erhöhung – und das ist noch die geschönte Marketingformulierung.
Die Regierung hat sich eine Reihe von vorbildlichen Musterfamilien gesucht
Weil die Liste der Entlastungen ja so aufgereiht viel zu kompliziert sind, hat die Regierung sich eine Reihe von vorbildlichen Musterfamilien gesucht, anhand derer die Beträge konkret ausgerechnet worden sind. Da ist Familie Nowak, vierköpfige kleine Familie in der klassischen Mutter, Vater, Junge, Mädchen Konstellation. Mami und Papi sind sogar verheiratet – damit den Regierungsanhängern das nicht zu spießig wird, kommt gleich der Hinweis: Die Familienmutter ist Pendlerin, 10 Kilometer Arbeitsweg nimmt sie jeden Tag auf sich. Und das tut sie nicht etwa mit dem Auto, denn sonst hätte die Familie ihren Platz in der Kampagne nicht verdient.
Stattdessen wird extra darauf hin gewiesen, dass sie ihren Arbeitsweg heroisch mit Bus oder Fahrrad bestreitet. Der Staat dankt es ihr mit (bald irgendwann mal) 45 Euro monatlich als Ersparnis beim Jahresabo für Nahverkehr durch Deutschlandticket. Sie sind Pendler, haben aber keine Zeit mit dem Drahtesel durch die Gegend zu schlendern wie Oma beim Pfingstausflug und Ihre Busanbindung ist eine einzige Katastrophe? Dann sollten Sie lieber irgendeine woke Lebensweise vorzuweisen haben, sonst kann die Regierung das nicht gutheißen.
Dann sind da noch Maximilian und Finn, ein alleinerziehender Papa mit zweijährigem Sohn und Sevgi und Steffen, ein verheiratetes Paar mit Hund. Und natürlich Familie Schmidt, wieder klassische vierköpfige Familie, zeichnet sich aber dadurch aus, dass der Papa Teilzeit als Erzieher arbeitet, während die Mama sich als Betriebswirtin verwirklicht. Damit gleichen sie aus, dass der Familienvater seinen 37 Kilometer Arbeitsweg mit dem Auto zurücklegt. Er bekommt dafür 86 Euro erhöhte Pendlerpauschale. Um sich endgültig von dieser Sünde reinzuwaschen, haben sie an ihrem Haus eine Solaranlage installiert, wofür sie 1.520 Euro Umsatzsteuerbefreiung auf den Batteriespeicher erwarten dürfen. Das mal als kleine Selektion der Gelder, die diese Vorzeigefamilien versprochen bekommen – sofern sie echt sind und nicht wie beim Gesundheitsministerium vielleicht noch nebenbei eine Hobby-Pornokarriere verfolgen.
Wir lernen also: Mit Steuererhöhung wird man wohl noch rechnen dürfen, Ihr Geld mag zwar knapp werden, aber die Regierung wird es trotzdem für Propagandaplakate aus dem Fenster werfen und der Winter endet neuerdings schon im Januar. Mit Märchenbuchautoren, Völkerrechtlerinnen die keine Hühner melken können, möglicherweise korrupten Finanzministern und Bundeskanzlern, deren Skandale sich schon vor Amtsantritt häufen, kann man sich immer wieder aufs neue auf Überraschungen freuen