
Wie jetzt herauskam, geschah die Twitter-Sperrung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump keineswegs aufgrund eines Regelverstoßes, sondern vielmehr als völlig willkürliche Entscheidung der Konzernführungsriege nach externem und internem Druck auf das Social-Media-Unternehmen. Interne Nachrichten belegen, wie Twitter-Mitarbeiter zugaben, dass die fraglichen Tweets keine Anstiftung zur Gewalt darstellten, man den damaligen US-Präsidenten aber trotzdem sperrte.
Über das Wochenende und am Montag setzte Elon Musk die Enthüllungsserie der „Twitter-Files“ fort. Über die Journalisten Michael Shellenberger und Bari Weiss wurden jetzt die internen Diskussionen zur Twitter-Sperre von Donald Trump publik. Als die brisante Entscheidung fiel, war Twitter-CEO Jack Dorsey im tropischen Urlaub in Französisch-Polynesien und so übernahmen Yoel Roth, Chef von „Trust & Safety“, und Vijaya Gadde, Chefin von „Legal, Policy, & Trust“ viele der Entscheidungen rund um Trumps Sperre. Die zwei waren bereits in den vorherigen Veröffentlichungen der „Twitter-Files“ zentrale Akteure bei der Zensur unliebsamer Accounts und Inhalte.
Aus den Nachrichten geht hervor, dass Roth, der in der Vergangenheit bereits der Meinung war es gäbe „echte Nazis“ in Trumps Weißen Haus, CEO Dorsey dazu drängte die Twitter-Regeln gegenüber Trump und seinen Anhängern zu verschärfen, wohl teilweise mit Erfolg.
Als Trump gesperrt wurde, hieß es sein Verbot beruhe darauf, „wie [Trumps Tweets] empfangen und interpretiert werden“. Aber nur zwei Jahre zuvor hatte Twitter beteuert, es würde nicht versuchen „alle möglichen Interpretationen des Inhalts oder einer Absicht zu ermitteln“.
Am 8. Januar 2021, dem Tag an dem Trump von der Plattform gebannt wurde, setzte das damalige Staatsoberhaupt nur zwei Tweets ab:
Einmal: „Die 75.000.000 großen amerikanischen Patrioten, die für mich, AMERICA FIRST und MAKE AMERICA GREAT AGAIN gestimmt haben, werden noch lange in der Zukunft eine RIESENSTIMME haben. Sie werden in keiner Weise missachtet oder unfair behandelt!!!”
Und: „An alle, die gefragt haben, ich werde am 20. Januar nicht zur Amtseinführung gehen.“
Es sind bis heute seine letzten beiden Tweets auf der Plattform. (Musk hatte die Sperre Trumps aufgehoben, getwittert hat der Ex-Präsident allerdings seitdem nicht.) Offiziell wurde er danach wegen „Gefahr weiterer Anstiftung zur Gewalt“ gesperrt.
Twitter-intern sah man eigentlich gar keine Anstiftung zu Gewalt
Allerdings wurden die Tweets von damals selbst Twitter-intern keineswegs als „Anstiftung zur Gewalt“ eingestuft. Ein Mitarbeiter schrieb: „Ich denke, es würde uns schwer fallen, zu sagen, dass dies eine Anstiftung [zu Gewalt] ist. Es ist ziemlich klar, dass er sagt, dass die ‚amerikanischen Patrioten‘ diejenigen sind, die für ihn gestimmt haben und nicht die Terroristen (wir können sie so nennen, oder?) vom Mittwoch.“
„Verstehe hier nicht die Anstiftungsperspektive“, meinte ein andere. „Ich sehe auch keine klare oder verschlüsselte Hetze in dem DJT-Tweet“, schrieb Anika Navaroli, eine Twitter-Policy-Mitarbeiterin. „Ich werde im Wahlkanal antworten und sagen, dass unser Team keine [Verstöße] für den DJT Tweet gefunden hat.”
„Vielleicht, weil ich aus China komme“, merkte ein Mitarbeiter am 7. Januar an, „verstehe ich zutiefst, wie Zensur den öffentlichen Diskurs zerstören kann.“
Mit Hitler-Vergleichen rechtfertigte man sich intern für die Willkür-Entscheidung
Nun kam jetzt allerdings eine der anderen Schlüsselfiguren bei Twitter, „Legal, Policy, & Trust“-Chefin Vijaya Gadde, ins Spiel. Sie machte zum Thema, dass die Tweets eben doch eine vermeintlich „verschlüsselte Anstiftung zu weiterer Gewalt“ seien. Und hier kam der Ball dann ins rollen: Der Hinweis auf „amerikanische Patrioten“ wurde auf einmal als anderes Wort für die Randalierer des Sturms aufs Kapitol gewertet – obwohl Trump von 75 Millionen „großen amerikanischen Patrioten“ sprach. Gemeint waren also seine Wähler nicht die wenigen hundert Randalierer.
Trotzdem hatte die Twitter-interne Eskalationsspirale begonnen. Bald war die Rede davon ihn als „Anführer einer terroristischen Gruppe anzusehen, die für Gewalt/Todesfälle vergleichbar mit dem Attentäter von Christchurch oder Hitler verantwortlich ist, und auf dieser Grundlage und auf der Gesamtheit seiner Tweets sollte er von der Plattform entfernt werden.“
Also legte man sich auf die schwammige Rechtfertigung „Gefahr weiterer Anstiftung zur Gewalt“ fest, für die man extra die Regeln änderte. „In diesem konkreten Fall ändern wir unseren Public-Interest-Ansatz für sein Konto“, schrieb „Trust & Safety“-Chef Yoel Roth in internen Nachrichten über Trumps Account.
Echte Anstachelung zu Gewalt durch andere Staatschefs wurde toleriert
Denn viele andere echte Anstiftungen zu Gewalt durch Staats- und Regierungschefs duldete man auf der Plattform: Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei durfte twittern: „Israel ist ein bösartiger Krebstumor in der westasiatischen Region, der entfernt und ausgerottet werden muss: Es ist möglich und es wird passieren.“ Der damalige malaysische Premierminister, Mahathir bin Mohamad, durfte auf der Plattform schreiben, Muslime hätten das Recht, „Millionen Franzosen zu töten“.
Roths Rechtfertigung dafür Trumps dagegen völlig harmlose Tweets als Grund für eine Sperrung des US-Präsidenten zu nutzen? „Um es anders zu formulieren: Richtlinien sind ein Teil des Systems, wie Twitter funktioniert. […] Wir sind darauf gestoßen, dass sich die Welt schneller verändert, als wir in der Lage waren, entweder das Produkt oder die Richtlinien anzupassen.“
Also hat man Trump einfach willkürlich von der Plattform verbannt.