2022 wurden Rüstungsgüter im Wert von knapp 1,5 Millionen Euro vom Bundeswirtschaftsministerium zum Export nach Afghanistan genehmigt – nach der Machtübernahme der Taliban wohlgemerkt. Auf Pleiteticker.de-Anfrage hält sich das Ministerium bedeckt.

Die Bundesregierung hat noch im ersten Halbjahr 2022 Rüstungsgüter im Wert von fast 1,5 Millionen Euro zum Export nach Afghanistan freigegeben – der Vorgang findet sich im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung. Auf Anfrage von Pleiteticker.de schweigt das zuständige Wirtschaftsministerium dazu, um welche Güter es sich dabei handelte und an wen in Afghanistan sie gingen. Stattdessen erklärt es nur allgemein, es „werden gelegentlich internationale Hilfsorganisationen, UNO-Institutionen oder Auslandsvertretungen anderer Staaten mit genehmigungspflichtigen Gütern beliefert“. Länder tauchen auch dann auf der Liste auf, wenn man an deren entsprechenden Regierungen oder Streitkräfte nicht liefert, so die Behörde.
Bemerkenswert: Anders als im Fall von Afghanistan war das Wirtschaftsministerium bei einer Lieferung in die „Islamische Republik Iran“, das Mullah-Regime in Teheran, durchaus auskunftsfreudig. Angesprochen auf einen Rüstungsexport im Wert von 188.232 Euro hatte das Wirtschaftsministerium auf Twitter versichert, es habe sich um einen Geländewagen für die Auslandsvertretung eines NATO-Partners gehandelt.
Obwohl Pleiteticker.de explizit nach den Empfängern der Rüstungsexporte nach Afghanistan fragte, verweigert das Wirtschaftsministerium die Auskunft, stattdessen heißt es nur: „Auskünfte über einzelne im Bereich der Rüstungsgüter kann das BMWK grundsätzlich nicht erteilen, weil Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie möglicherweise Sicherheitsfragen betroffen sind“
Ging es auch hier um Lieferungen an NATO-Länder mit Botschaften in Kabul? Anders als im Fall des Iran haben aber kaum westliche Staaten überhaupt diplomatische Vertretungen in Kabul. Denn Afghanistan versinkt im Chaos, und die herrschenden Taliban werden international nicht anerkannt.
Die Türkei ist das einzige NATO-Land mit einer Botschaft in Afghanistan, hat selbst aber eine fragwürdige Beziehung zum Taliban-Regime. Aber es könnte auch ein anderes Land sein: Etwa Katar? Der Golfstaat unterhält eine Botschaft in Kabul und hatte zuvor jahrelang eine Büro der Taliban auf seinem Staatsgebiet zugelassen, während Taliban-Terroristen in Afghanistan westliche Truppen töteten. Kurz nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul ließ das Land die Taliban-Führer dieses „Büros“ mit einer eigenen Militärmaschine einfliegen. Oder gingen die Rüstungsgüter an eine UN-Organisation? Aber könnten sie so etwa in Hände der Taliban fallen, wie es beim Abzug westlicher Truppen und Organisationen schon 2021 massenweise geschah? All das bleibt im Dunkeln.
Strenge Prüfkriterien – aber wie wurden sie angewendet?
Rüstungsexporte teilen sich auf in Kriegswaffen und sogenannte sonstige Rüstungsgüter. Das Wirtschaftsministerium erklärt auf seiner Website, unter letztere fallen „beispielsweise Pistolen und Revolver sowie Jagd- und Sportgewehre, Radar- und Funktechnik, aber auch bestimmte Explosivstoffe und Vorprodukte, die für den militärischen Einsatz bestimmt sind.“ In der Antwort auf Pleiteticker.de-Anfrage erwähnte es auch „sondergeschützte Fahrzeuge, die hinsichtlich des Sicherheitsniveaus und der Geländegängigkeit bestimmte Merkmale aufweisen“. Solche Fahrzeuge werden „oft von internationalen Organisationen und Auslandsvertretungen im jeweiligen Gastland genutzt“, so das Ministerium.
Ob es sich bei den konkreten Rüstungsexporten nach Afghanistan nun also um Kriegswaffen oder „sonstigen Rüstungsgüter“ handelt – und ob es solche „sondergeschützten Fahrzeuge“ waren, lässt die Behörde völlig offen. Es könnte theoretisch auch jede erdenkbare Art von Waffen, Radartechnik oder anderen Rüstungsgütern sein.
Im Fall von Kriegswaffen trifft die Entscheidung das Bundeswirtschaftsministerium zusammen mit Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium. Im Falle der sonstigen Rüstungsgüter trifft sie nur das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). In allen Fällen betont das Wirtschaftsministerium allerdings die strengen Prüfkriterien, insbesondere bei Lieferungen in Drittländer (nicht-NATO, nicht-EU-Länder) gelte eine „strenge Kontrolle“ und nur „zurückhaltende Genehmigungen“ hinsichtlich „Menschenrechtslage, sicherheitspolitischem Interesse Deutschlands und der internationalen Staatengemeinschaft“.
Was hat die Wirtschaftsministerium also in Anbetracht dieser strengen Kriterien zum Rätsel um die Rüstungsexporte nach Afghanistan zu sagen? „Zur Menschenrechtslage im Iran und in Afghanistan hat sich die Bundesaußenministerin wiederholt geäußert. Anträge auf Exportgenehmigung werden, soweit sie sanktionsrechtlich überhaupt genehmigungsfähig sind, vor dem Hintergrund der Menschenrechtslage sehr restriktiv geprüft.“
Die 1,5 Millionen Rüstungsgüter nach Afghanistan, sie bleiben ein Rätsel.