Im „Polizeiruf 110“ spielt ein Trans-Schauspieler eine Trans-Rolle, es kommt die Frage auf, ob ein Darsteller immer queer sein sollte, um queere Rollen zu spielen. Nach diesem Maßstab müsste man den Beruf des Schauspielers jedoch abschaffen – und mindestens die Hälfte aller Filme gleich mit.

In der neusten Folge der ARD-Serie „Polizeiruf 110“ geht es um einen besonderen Kriminalfall: Der Trans Mann Daniel A. wird des Mordes verdächtigt und traut sich nicht als Zeuge zur Polizei zu gehen, weil er fürchtet, dass seine Trans-Identität sonst publik würde. Soweit so woke – das besondere daran ist: Jonathan Perleth, Schauspieler von Daniel A., ist auch in seinem echten Leben transsexuell. Die Neue Osnabrücker Zeitung stellte ihm deshalb die Frage, ob „man eine queere Biographie haben muss, um queere Rollen zu verkörpern“ – das würde jedoch bedeuten, den Berufsstand des Schauspielers abzuschaffen, nur um keine Gefühle zu verletzten.
Perleth sieht bei einem Schausteller, der selbst nicht trans ist, aber einen Transsexuellen spielt, die Gefahr, dass er ohne den privaten (Trans-)Hintergrund „Klischees reproduzieren“ würden. Doch mal abgesehen von dem Fakt, das Schauspieler in der Regel nicht selbst das Drehbuch für ihre Rollen schreiben: Ein guter Schauspieler zeichnet sich genau dadurch aus, dass er jede Rolle spielen kann – völlig egal, ob es um die Darstellung eines sympathischen Postboten, eines skrupellosen Mafia-Bosses, eines grausamen Vergewaltigers oder eines schwulen Influencers geht.
Den Beruf und mindestens die Hälfte aller Filme abschaffen
Natürlich kann man beim Casting darauf achten, ob man einen kleinen, einen dicken, einen blonden, einen androgynen, einen besonders männlichen oder einen einbeinigen Schauspieler casten will – um die Rolle möglichst authentisch zu besetzen. Geht man aber davon aus, dass die Überzeugungskraft einer Figur und die schauspielerische Leistung ihres Darstellers nur davon abhängt, ob der entsprechende Schausteller in seinem Privatleben dieselben Eigenschaften wie sein Film-Charakter besitzt, müssen wir den Beruf abschaffen – und um mindestens 50 Prozent aller Filme gleich mit.
Einen Film über den zweiten Weltkrieg zu produzieren, wäre dann jedenfalls nicht mehr möglich. Immerhin leben kaum noch Juden, die die Verbrechen des Holocaust überlebt habe. Genauso wie es kaum noch echte NSDAP-Mitglieder gibt, die man für die Rollen der Nationalsozialisten casten könnte – mal abgesehen von der Tatsache, das das niemand wollen könnte. Diejenigen, die heute noch leben, sind neunzig bis hundert Jahre alt und wären damit weder in der Lage in Action-Szenen mitzuspielen, noch könnten sie junge Menschen darstellen.
Historische Filme wären nicht umsetzbar
Wir müssten also auf so berührende amerikanische Verfilmungen wie „Schindlers Liste“ verzichten – die an den Mord an Millionen von Juden erinnern. Denn auch wenn am Ende des Films die realen Protagonisten Steine auf das Grab von Oskar Schindler legen, werden die meisten aller Film-Darsteller kaum jüdisch gewesen sein – könnten sich nach dem woken Anti-Stereotyp-Maßstab also wohl kaum in die Rollen hineinversetzen. Genauso wie Hauptdarsteller Liam Neeson als Irischer Staatsbürger nach diesem Maßstab nicht den Sudetendeutschen Oskar Schindler hätte spielen können.
Und diese Linie lässt sich weiter ziehen: Wir müssten auf historische Blockbuster wie „den Untergang“ verzichten, in dem es um die letzten Tage im Führungsbunker geht und der den Wahnsinn Hitlers und seiner Untergebenen eindrucksvoll abbildet. Wir müssten außerdem auf sämtliche Filme über den ersten Weltkrieg, den Vietnam- oder den Irakkrieg verzichten, weil die Schauspieler weder Zeitzeugen noch echte Soldaten sind – geschweige den auf Filme, die viel weiter in der Vergangenheit liegen, etwa im Mittelalter oder der Römer-Zeit spielen.
Das Ende der Filmbranche
Bleiben wir bei Krimis, wie dem Polizeiruf 110, müsste jeder Tatortkommissar wirklich Polizist sein, jedes Unfall-Opfer wirklich im Koma liegen, jede vergewaltigte Frau wirklich vergewaltigt worden sein, jeder Mörder wirklich jemanden getötet haben und jeder Tote wirklich sterben – nur so könnten wir sicher sein, dass keine Klischees reproduziert würden. Allerdings hätten wir dann auch keine Darsteller mehr und könnten die Filmbranche gleich mit beerdigen.