Queer und muslimisch – passt das zusammen? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein aktueller NDR-Beitrag. Der Moderator gibt sich große Mühe, den Islam als weltoffen und queer-freundlich darzustellen. Im Beitrag offenbart sich das genaue Gegenteil.

Im Beitrag wird unter anderem Marco vorgestellt. Er ist ein Transmann, hat griechische Wurzeln, ist in einer christlichen Familie aufgewachsen und konvertierte in seiner Jugend zum Islam. Die katholische Kirche, sagt er, sei ihm zu hierarchisch gewesen. Der Islam hingegen sei eine „antiautoritäre” Religion. Und Marco erzählt noch mehr Erstaunliches: Mit seiner Sexualität hätten vor allem „rassistische queere” Menschen Probleme gehabt. Auch die „Gesamtgesellschaft” sei für ihn „gefährlich” gewesen. Nur über Probleme mit anderen Muslimen berichtet Marco nichts.
Der Islam: Laut NDR tolerant, weltoffen und divers
Auch im weiteren Verlauf des NDR-Berichts gibt man sich größte Mühe, den Islam maximal weltoffen und tolerant darzustellen. Der Zuschauer lernt auch Abbas kennen. Er ist libanesischer Herkunft, hört gern klassische Musik und „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich ist sein Lieblingsgemälde. Er besucht gern Billard-Cafés. Er ernährt sich vegan. Und Abbas, will uns der TV-Beitrag weismachen, fühlt sich nicht nur als Veganer und Liebhaber der deutschen Frühromantik, sondern auch als Schwuler im islamischen Glauben super gut aufgehoben.
Wo und wie Abbas als Homosexueller seine Religion genau lebt und leben kann, verrät der TV-Beitrag merkwürdigerweise nicht. Dafür berichtet der junge Mann schmerzhaft anschaulich, was sein strenggläubiger Vater mit ihm anstellen würde, wenn er vom Schwulsein seines Sohnes erführe: „Er wird dich schlagen und vielleicht noch was in die Hand nehmen, um dich damit zu schlagen. Als wäre es nicht genug, dich mit der Hand zu schlagen. Und du verdienst es, selbst, wenn du dadurch stirbst. Du verdienst es, weil du nicht in Ordnung bist. Und Leute, die nicht in Ordnung sind, verdienen nach dem Willen Gottes, so behandelt zu werden.“ Komplett im Reinen als Schwuler im Islam – aber Erinnerungen an einen muslimischen Vater, der seinen homosexuellen Sohn im Namen Gottes tot prügeln würde. Der Zuschauer bleibt ratlos zurück.
Und dann ist da noch Ahmed, der dritte Queere im Bunde. Auch er natürlich ein super-lockerer Moslem und ganz im Einklang mit seiner Religion. Ahmed hat libanesisch-palästinensische Wurzeln und ist in Berlin-Kreuzberg großgeworden. Im NDR-Bericht radelt er in bester deutscher Ökospießer-Manier durch die Stadt und trägt tolle bunte Klamotten. Außerdem liebt Ahmed Lateinamerika, indisches Essen und Kaffee, erfahren wir. Auch er reklamiert für sich, dass der Islam und Queersein total gut zusammenpassen. Wie der Zuschauer sich das genau vorstellen darf, wird nicht weiter erläutert. Stattdessen berichtet aber auch Ahmed von großen Ängsten nach seinem Coming Out: „Ich wusste, dass die Situation von meiner Familie aus total gefährlich für mich sein wird“. Ahmed trieb es sogar kurzzeitig ins Ausland, wo er sich bei Freundinnen verstecken konnte.
Mit dem Mainstream-Islam hat das nichts zu tun
„Ich dachte, dass der Islam durch und durch patriarchal und queerfeindlich sei“, sagt der Autor zu Beginn seines Beitrags. Ahmed, Abbas und Marco hätten ihn vom Gegenteil überzeugt. – Wie das? Warum, fragt man sich, will uns der NDR-Beitrag den Islam unbedingt als antiautoritär und queerfreundlich verkaufen, wenn er beides absolut nicht belegen kann?
Klar wird, dass alle drei Protagonisten sehr mutig sind und sich vom Mainstream-Islam emanzipiert haben. Abbas engagiert sich in einem liberalen islamischen Verband, Ahmed hat einen queer-islamischen Verein gegründet. Im ganz normalen muslimischen Umfeld und Alltag sind beide auf krasse Ablehnung und tödliche Verachtung gestoßen. Weil der Islam, wie sie selbst berichten, an vielen Stellen patriarchal und queerfeindlich ist. Auch, wenn der NDR es gern anders hätte.