Gegenüber Pleiteticker.de erklärt Ungarns Regierungschef Viktor Orbán , er erwarte, dass sich die Spannungen zwischen Ungarn und dem Rest der EU noch weiter vertiefen werden.

Von RALF SCHULER
Ungarn Ministerpräsident Viktor Orbán geht davon aus, dass die Spannungen zwischen Ungarn und dem Rest der Europäischen Union sich in den kommenden Jahren noch vertiefen werden. Im Gespräch mit Pleiteticker.de sagte Orbán am Donnerstag: „Der Graben wird eher noch tiefer werden.“ Das liege vor allem an drei Punkten: Migration, LGBTQ-Bewegung und dem Ziel der Vereinigten Staaten von Europa, das er ausdrücklich nicht teile. „Beim Thema Migration wollen zum Beispiel Deutschland und Frankreich eine Koexistenz von Migranten und der einheimischen Bevölkerung. Ich dagegen möchte die Koexistenz vermeiden und erst gar nicht haben.“
Auch bei der Bewertung des Ukraine-Krieges setzt sich Orbán deutlich von der EU-Linie ab. Im Gespräch in seinem Amtssitz auf der Budapester Burg sagte der Regierungschef, er gehe davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin vor den russischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr auf keinen Fall auch nur den Anschein einer Niederlage hinnehmen werde, was einen Anhaltspunkt für den zeitlichen Horizont des Konfliktes gebe. „Die Zeit ist nicht auf Seiten der Nato“, sagte Orbán. „Ich sehe keinen Punkt, dass wir auf der Siegerstraße wären.“
Auch diskutiere der Westen meist über die Vorräte an Waffen auf beiden Seiten und verliere die Mannschaftsstärken der gegnerischen Armeen aus dem Blick. Nach Einschätzung Orbáns werde die Ukraine aber schon im Frühjahr mit einem Mangel an Soldaten zu kämpfen haben, während Putin ein deutlich größeres Reservoir an Mannschaften habe.
Die deutsche Strategie in dem Konflikt habe zu Beginn darin bestanden, 5000 Helme zu liefern. „Dann wurde betont, man stelle lediglich ,nicht tödliche‘ Waffen zur Verfügung. Heute reden wir über Kampfpanzer, und auch Kampfflugzeuge seien bereits im Gespräch.“ Denke man diese Linie fort, so werde man irgendwann eigene Truppen schicken müssen.
Nach Ansicht von Orbán versetzt sich der Westen auch nicht hinreichend in die russische Seite hinein. „Deren Realität ist schlicht eine andere, als viele in Europa glauben. Die Vorstellung, isoliert zu sein, ist zum Beispiel für Russen nichts neues und nichts erschreckendes. Man war auch früher schon isoliert.“ Auch unterschätze der Westen, den mit der Zeit wachsenden Ehrgeiz und die Zähigkeit der russischen Truppen. Dass etwas holprig und mit Rückschlägen anlaufe, sei normal in Russland.
Im Kreise der 27 EU-Regierungschefs habe ihm niemand erklären können, was eigentlich die eigene französische, deutsche oder europäische Strategie in dem Konflikt sei. Da sei lediglich von der abstrakten Verteidigung westlicher Werte die Rede gewesen. Sein Job sei es aber, für die Sicherzeit und die Zukunft der Menschen und Familien in Ungarn einzutreten. Das habe ihm analog kein anderer Regierungschef klar umreißen können oder wollen, wenn er danach gefragt habe.
Orbán tritt dafür ein, mit allen erdenklichen Mitteln auf ein Einfrieren des Konfliktes hinzuarbeiten. „Das wird nicht leicht, braucht viele Verhandlungen, Kommissionen und Vermittler und wird lange dauern. Wenn man Frieden will, ist das der Weg. Im Augenblick tun wir das Gegenteil.“
Insgesamt sei die Strategie des Westens schleierhaft. Strategen, die etwa auf einen Putsch gegen Putin setzen, müssten die Frage beantworten, woher denn ein möglicher Nachfolger kommen solle. „Am wahrscheinlichsten doch aus der Armee oder dem Sicherheitsapparat.“ Es sei sehr fraglich, ob man damit besser fahre.