Es sind Bilder, die in China seit Jahrzehnten als undenkbar gelten: Tausende demonstrieren in verschiedenen chinesischen Großstädten offen gegen das Regime – speziell die Null-Covid-Politik der Regierung. Regierungskritische Proteste in solchem Ausmaß hatte es seit dem Tian’anmen-Massaker 1989 nicht mehr gegeben.
Seinen Anfang nahmen die Proteste ausgerechnet in Xinjiang, jener Provinz im Westen Chinas, wo ein massiver Sicherheitsapparat aufgebaut wurde, um die dort ansässige Uiguren-Minderheit systematisch zu verfolgen. In Urumqi, der Provinzhaupstadt Xinjiangs, war es nämlich zu einem Feuer in einem Mietshochhaus gekommen, bei dem mehr als 10 Menschen starben. Gerüchten zufolge verhinderte eine, aus Lockdown-Gründen geschehene, Versiegelung des Hauses das Eintreffen der Feuerwehr, die erst mehr als zweieinhalb Stunden später helfen konnte.
Inzwischen erreichen die Proteste aber auch andere chinesische Großstädte wie Shanghai, Nanjing und sogar Peking. In Shanghai versammelten sich gestern Demonstranten auf einer nach Urumqi benannten Straße und richteten sich in Sprachchören offen gegen die herrschende Kommunistische Partei und Präsident Xi Jinping. Ein Novum im sonst streng kontrollierten Einparteien-Staat China. „Nieder mit der Partei! Nieder mit Xi! Befreit Xinjiang!“, wurde zum Teil gerufen.
Heute setzen sich die Proteste dort fort. Vielerorts wurde außerdem die chinesische Nationalhymne gesungen, so auch bei Studentenprotesten in Nanjing: „Erhebt euch, diejenigen, die sich weigern, Sklaven zu sein.“
Auch in der Haupstadt Peking kommt es zu Demonstrationen. Studenten der dort ansässigen Tsinghua-Universität, einer der Top-Unis des Landes forderten Meinungsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wie an manch anderen Orten auch protestierte die Menge dort mit weißen, leere Blättern und Schildern gegen den fehlende Meinungsfreiheit im Land.
Bemerkenswert ist, dass es bisher noch keine große Eskalation von Seiten der Sicherheitsbehörden gab. In Shanghai etwa schauten Polizisten zu, wie Demonstranten offen „Nieder mit der KPCh“ und „Wir wollen Freiheit, keine Viruskontrollen“ skandierten. Es soll zwar zu Festnahmen gekommen sein, aber eine großangelegte gewaltsame Auflösung der Proteste blieb bisher aus. Auch kam hauptsächlich normale Polizei und nicht etwa die militarisierte und für Unruhen vorgesehene „Bewaffnete Volkspolizei“ zum Einsatz.