Weil der Vorsitzende der Bamberger Israelitischen Kultusgemeinde, Martin Arieh Rudolph, in seiner Rede anlässlich der Reichspogromnacht die Corona-Politik der Bundesregierung kritisierte, erhielt er kürzlich ein Schreiben vom Bündnis gegen Rechtsextremismus. Darin wird ihm vorgeworfen, Positionen der „Corona-Leugner*innenszene“ vertreten zu haben. Wir haben mit ihm gesprochen.

Was war Ihre erste Reaktion, als Sie – drei Monate nach Ihrer Rede – plötzlich das Schreiben des Bündnisses gegen Rechtsextremismus in den Händen hielten?
Ursprünglich wollte ich die ganze Sache auf sich beruhen lassen. Doch der Brief war sehr herausfordernd geschrieben und ich als Jude wurde unverschämterweise in die Nähe von Antisemiten gerückt. Das wollte ich doch nicht auf sich beruhen lassen, denn ich wurde ja als Vorsitzender der IKG Bamberg mit der Gemeindeadresse angesprochen und nicht etwa als Privatperson. Als Vorsitzender ist es natürlich meine Pflicht, mich vor meine Gemeinde zu stellen und sie vor Anwürfen zu beschützen.
Was konkret wirft Ihnen das Bündnis vor?
Dass ich als Jude Antisemitismus verbreite. Man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu differenzieren, sondern holt gleich den ganz großen Hammer heraus.
Können Sie den Vorwurf, Ihre Rede sei antisemitisch gewesen, annähernd nachvollziehen?
Ich hatte lediglich meine Bestürzung darüber ausgedrückt, dass Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt wurden, ihnen mit Arbeitsplatz- und Einkommensentzug gedroht wurde, weil sie von ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit Gebrauch machten. Was sollte daran antisemitisch sei? Ist es antisemitisch, eine bestehende Erzählung zu hinterfragen, selbst wenn alle sie ohne nachzudenken nachplappern? Ich bin selbst Jude, von daher ist das eine Unverschämtheit.
Was wurde Ihnen noch vorgeworfen?
Dass ich den Gedenktag für eine „persönliche, politische Abrechnung mit der Bundesregierung missbraucht“ hätte. Dieser Satz schießt weit über die zuerst geäußerte Aussage, die Rede habe „irritiert“, hinaus. Denn das wäre lediglich eine legitime Meinungsäußerung. Der Vorwurf eines „Missbrauchs“ der Veranstaltung für eine „persönliche politische Abrechnung mit der Bundesregierung“ hingegen ist eine böswillige und durch nichts zu belegende Unterstellung. Meine Kritik an bestimmten politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre und am Auftreten einzelner Regierungsmitglieder bezog sich vor allem auf das Gefühl der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Polarisierung, das viele Menschen infolge erlebt haben.
Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Wir sind eine jüdische Gemeinde mit Überlebenden der Schoah in den eigenen Reihen und auch die vielen anderen Diskriminierungen in den Jahrhunderten davor, wie beispielsweise das Rintfleisch-Pogrom 1298 im Fränkischen, die Hep-Hep-Krawalle 1819, sind uns ins Gedächtnis eingebrannt. Es mag auf Unbeteiligte vielleicht übertrieben wirken, aber es ist so. Deshalb reagieren wir mit großer Sensibilität auf jede Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung und medialer Diskriminierung, auch wenn sie von anderen erfahren wird.
Haben Sie dem Ansehen Ihrer Gemeinde “Schaden zugefügt”, wie es das Bündnis behauptet?
Diese Behauptung ist eine haltlose Anmaßung. Eine solche Einschätzung steht allenfalls den Gemeinde- und Vorstandsmitgliedern der IKG Bamberg zu, alles andere ist eine klare illegitime Einmischung in die inneren Angelegenheiten zum Schaden der Gemeinde und kann zumindest aus rechtlicher Perspektive als potenziell antisemitisch, als judenfeindlich, bewertet werden.
Das Bündnis hat Ihnen ein Gespräch angeboten. Werden Sie das Angebot annehmen?
Gegen Ende des Schreibens heißt es, es sei „ein besonderes Anliegen … im Gespräch zu bleiben“. Im Zusammenhang mit der Erwartungshaltung einer „kritischen Reflexion“ wirkt das auf mich wie ein weiterer Einschüchterungsversuch. Ein solch vergiftetes Gesprächsangebot weisen wir als IKG Bamberg zurück. Wir haben uns gegenüber dem Bündnis nicht zu rechtfertigen.
Werden Sie in der Sache also nichts mehr unternehmen?
Wir werden in Kontakt mit der Polizei treten, die eine Anzeige von Amts wegen aufgenommen hat, und klären, ob die IKG Bamberg das Bündnis ebenfalls staatsanwaltlich anzeigen sollte. Eine etwaige Schadensbegrenzung müsste vom Bündnis aus erfolgen. Dafür wollen wir offen bleiben. Es geht ja letztendlich nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um das gemeinsame Ziel, der Zeit einer unsäglichen Judenverfolgung zu gedenken und dabei auch zivilgesellschaftlich die Demokratie, Toleranz und das verständnisvolle Miteinander in unserer Gesellschaft und spezifisch in Bamberg zu fördern, sowie Extremismus und Antisemitismus zu bekämpfen.
Anmerkung der Redaktion: Weder die Stadt Bamberg noch das Bündnis gegen Rechtsextremismus äußerten sich auf Nachfrage gegenüber Pleiteticker.de zu der Angelegenheit.
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Mit Erlaubnis von Martin Arieh Rudolph veröffentlichen wir jenen Teil seiner Rede, den das Bündnis kritisiert:
“Vor gut zweieinhalb Jahren hätte man es nicht für möglich gehalten, dass sich Menschen aller gesellschaftlicher Ebenen vehement dafür aussprechen, andere Menschen unter anderem mittels eines vorherrschenden Narrativs auszugrenzen, zu diskriminieren und zu ächten, ihnen mit Strafverfolgung, Arbeitsplatz- und Einkommensentzug bis dahin, nicht mehr einkaufen gehen zu dürfen, zu drohen und sogar wahr zu machen.
Nur weil diese Menschen ihr natürliches Recht auf körperliche Unversehrtheit wahrnahmen. Das Trennen von Mitarbeitern in der Kantine der Universitätsklinik Halle in pauschal „Ungeimpfte“ und „Geimpfte und Genesene“, wie die Zeitung für Mecklenburg und Brandenburg, der Nordkurier, am 7. September 2021 untersuchte und welches von der Klinikleitung sogar bestätigt wurde, war nur die Spitze des Eisbergs an Menschenverachtung. Damit wurden auch Juden politisch diskriminiert. Und das hier in einem Land, in dem der Bundespräsident am 3. Oktober 2020 zum Gedenken an die Wiedervereinigung vor 30 Jahren ausrief: “Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat”.
Beim ersten harten Lockdown im Frühjahr 2020 wurden neben Geschäften und Restaurants auch Gotteshäuser, Kindergärten und Schulen behördlicherseits geschlossen, es gab zahlreiche Einschränkungen von Grundrechten im öffentlichen Leben.
Inzwischen gibt der Bundesgesundheitsminister widerwillig zu, dass Kinder keine Infektionsherde waren. Das bestätigte eine Studie des regierungsamtlichen Robert Koch-Instituts und des Deutschen Jugendinstitut. Der Schaden ist aber schon angerichtet und er ist immens. Weiter zeigten in den Lockdowns die großen Kirchen den hilfesuchenden Menschen mit ihren verwundeten Seelen oft nur die kalte Schulter.
Die Kirchen hätten die Macht nutzen können, gegen Politik, Unternehmen und Ärzte aufzustehen und „Nein“ zu sagen. Aber hier wurde eine wichtige Chance leichtfertig verspielt. Rufe nach Aufarbeitung der Corona-Zeit werden jetzt lauter.
Dennoch befürchte ich, dass es kein gegenseitiges Verzeihen geben wird, wie der vormalige Gesundheitsminister Jens Spahn in seinem kürzlich erschienenen Buch „Wir werden uns viel zu verzeihen haben“, schrieb. Die dringend notwendige Chance einer Aufarbeitung und das Verzeihen, und das ist durchaus so pessimistisch gemeint, wie ich das sage, wird unter den großen Teppich gekehrt werden. Das ist auch der Makel der Medien, die es in der Hand hätten. Sie, die sich ansonsten gerne als 4. Gewalt gerieren, berichten entweder gar nicht erst darüber oder verzerrt, obwohl es ihre Pflicht als Journalisten wäre, der Opposition die Stimme zu leihen oder zumindest neutral zu berichten.
Zumindest nicht, wie gerade am vergangenen Samstag passiert, als der Amerika-Korrespondent Nils Dampz auf der Internetseite der Tagesschau betreffend der Übernahme von Twitter durch Elon Musk schrieb, dass sogenannt „rassistische“ und „verschwörerische“ Twitter-Nutzer wie Ratten in ihre Löcher zurückgeprügelt gehörten. Diese entmenschlichende Sprache meinte man eigentlich in Deutschland hinter sich gelassen zu haben. „Wie ahnungslos muss ein Journalist sein, dass er nicht merkt, wie sehr seine menschenverachtende Formulierung Nazi-Propaganda ähnelt?“, schrieb treffend die „Welt plus“ am 7. November unter der Rubrik „Meinung“.
Inzwischen hat sich die Tagesschau entschuldigt und den Text geändert. Die Politik wird bei allem Zaudern und Zögern nicht umhin kommen, zuzugeben, dass sie sich letztlich fatal geirrt hat. Irren ist menschlich, aber man muss die Größe aufbringen, dies unumwunden zugeben zu können. Der Schaden ist schon angerichtet. Aber die politischen Fehlentscheidungen werden vermutlich ohne große Konsequenzen bleiben. Zumindest müssen die Opfer dieser Maßnahmen ausnahmslos rehabilitiert werden!”
[…]
Ich möchte jedoch wieder auf den heutigen Tag und das Gedenken zum 9. November zurückkommen und versuchen, den Menschen, die hier auf dem Platz sind, wieder etwas Mut zu machen. Denn gegen das, was die Bundesregierung zuletzt oftmals gründlich vergeigt hat, versucht die lokale Gesellschaft gegenzusteuern. Das sind die Menschen unserer Stadt, die sich in Vereinen engagieren, das sind die Stadträte der gewählten Parteien, das ist die Ärzteschaft, das sind alle derzeit gebeutelten Unternehmer und nicht zuletzt die Einwohner, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Strom- und Gasrechnung zahlen sollen.
Diese Menschen versuchen, in diesen schwierigen Zeiten menschlich zu bleiben. Da ist die Krankenschwester oder Altenpflegerin, die jedem Bedürftigen ihr Ohr leiht und die Heimbewohner tröstet, die ständig Maske tragen müssen, auch wenn sie darunter keine Luft bekommen und die nicht von ihren Lieben besucht werden können. Die Kindergärtnerin, die das weinende Kind in den Arm nimmt, der Unternehmer, der zu seinen Mitarbeitern hält und nicht aus Gründen des Aktionärswertes ins Ausland abwandert und sie ihrem Schicksal überläßt, Menschen, die beim Einkaufen dem nächst Eintretenden die Türe offen halten, also diejenigen, die sich an das Bibelwort aus Jesaja, Kapitel 58, Vers 6-8 halten, ich zitiere:
„Wenn Du die Fesseln des Unrecht lösest, die Stricke des Jochs entfernst, die Versklavten freiläßt, die Hungrigen dein Brot teilst und die Nackten bekleidest…dann wird Dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran und die Herrlichkeit des Herrn folgt Dir nach“. Jene, die diese Worte gegenüber ihrem Nächsten beherzigen, SIE sind die echten Helden dieser Zeit, sie sind Vorbilder und sie bleiben in der größten Not, auch ihrer eigenen, menschlich. Wenn wir dies alle in unsere Herzen nehmen und sie stärken und für die Nöte unseres Nächsten sensibler werden, dann ist auf jeden Fall schon viel getan. |
Ich hoffe, dass eine Situation, die uns an den Abgrund der Menschlichkeit führte, nicht mehr eintritt, unter den Menschen zu unseren Lebzeiten ein Umdenken beginnt, dann kann das unsere Gesellschaft im richtigen Moment zusammenhalten. Zumindest hier möchte ich vorsichtig optimistisch sein!