
Kommentar von Elisa David
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hält die Aktionen der „Letzten Generation“ nicht für extremistisch. Nicht nur das – er lobt sie sogar. „Anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“, behauptet er. Damit beweist er, dass er keine Ahnung hat, was in unserer Verfassung überhaupt drinsteht, findet unsere Autorin. Und, dass nach seiner Logik nicht mal RAF-Terroristen verfassungsfeindlich sind.
Der Chef des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang hat sich am Donnerstag, den 17.11. prominent zu den Aktionen der „Letzten Generation“ geäußert. Nicht nur stuft er die „Aktivisten“ als unproblematisch ein – er lobt sie sogar noch, zeichnet ihre Arbeit quasi aus. Seine Argumentation war dabei wie folgt: Extremismus ist ja, wenn der Staat und die freiheitliche demokratische Grundordnung angezweifelt wird. Und „genau das tun die Leute ja eigentlich nicht.“ Schließlich fordern sie ja die Regierung zum Handeln auf. Beweisführung abgeschlossen, sichere Sache. Er leitet direkt über zu dem Fazit: „Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“
Aber wenn es ein direkter Freifahrtschein ist, dass eine Bewegung die Regierung zum Handeln auffordert – egal welche Mittel sie dafür nutzt – was ist dann überhaupt noch verfassungsfeindlich? Hat die RAF nicht auch Forderungen an die „Funktionsträger“ gestellt? Die Entführung der „Landshut“, geschah unter dem Ziel, inhaftierte RAF-Terroristen freizulassen. Genauso bei der Entführung von Hanns Martin Schleyer. Um einen Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung zu zitieren: „Mit den Entführungen versuchten die Terroristen den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, um die Freilassung der inhaftierten RAF-Terroristen zu erzwingen.“ Nach der Logik unseres Verfassungsschutzchefs haben die Terroristen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung damit den höchstmöglichen Respekt gezollt.
Auf welche Straftaten die Organisationen zum Erreichen ihrer „Forderungen“ an die „Funktionsträger“ zurückgreifen, müsse man laut Haldenwang von diesen Forderungen selbst trennen. So findet er zwar, dass die begangenen Straftaten geahndet werden müssen, aber dafür seien allein die Gerichte da, den Verfassungsschutz betrifft das gar nicht. Um mal in einen Kontext zu setzten über welche Straftaten wir hier sprechen: In einem Artikel für die „Legal Tribute Online“ schrieb Prof. Dr. Thomas Fischer über seine juristische Einschätzung zu der „Letzten Generation“. Prof. Dr. Thomas Fischer ist ehemaliger Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof. Ich möchte ihm hier keine eindeutige Ansage, wie: „Die Klima-Kleber gehören in den Knast“, in den Mund legen, denn solche allgemeinen „Strafzumessungsvorschläge der Exekutive und der Pressemedien“ kritisiert er in seinem Beitrag als „durchweg verfehlt“. Er schreibt seine Einschätzungen in durchweg sachlicher Juristen-Manier.
Doch was er als konkrete Rechtslage in Betracht zieht, sollte man mal gelesen haben. „In Betracht kommen: neben Ordnungswidrigkeiten-Tatbeständen – verschiedene Straftatbestände: Nötigung (§ 240 StGB); Behinderung von hilfeleistenden Personen (§ 323c Abs. 2 StGB); gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB); vorsätzliche (§ 223 StGB), ggf. gefährliche (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) Körperverletzung (§ 223 StGB, mit fahrlässiger Todesfolge, § 227) oder fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder fahrlässige Tötung (§ 222 StGB).“
Diese Einschätzung ist vor allem bezogen auf die Blockade, die einen Spezialeinsatzwagen davon abhielt, zeitnah einer verunglückten Radfahrerin zur Hilfe zu kommen, die nach einem Verkehrsunfall mit einem Betonmischer unter diesem eingeklemmt war. Die junge Frau ist ihren Verletzungen am kurz darauf erlegen. Am gleichen Tag gab die „Letzte Generation“ bekannt, einfach weiterzumachen. Die aktuellste Groß-Blockade auf der Autobahn A113 zum BER Flughafen lässt darauf schließen, dass die Kleber nichts aber auch gar nichts aus diesem tragischen Zwischenfall gelernt haben. Ganz im Gegenteil: „Das ist erst der Anfang“, kündigt die „Letzte Generation“ an und droht auch künftig kritische Infrastruktur lahmzulegen.
Aber man kann es ja ganz einfach stoppen – wenn man einfach alles tut, was sie verlangen. Mit einem Ultimatum an die Regierung, erweist man ihr keinen Respekt – man erpresst sie. Genau so eine Eskalation hat das BKA bereits im September vorhergesagt. In einem Geheimpapier, dass die BILD-Zeitung veröffentlichte, warnte das BKA-Referat ST14 „Gefährdung“ davor, dass Klima-Aktivisten wie die der „Letzten Generation“ zu gefährlicheren Angriffen übergehen würden. Vor allem von dieser Radikalisierung gefährdet sah das Kriminalamt neben Kernkraftwerken auch „weitere Bereiche kritischer Infrastrukturen, wie Häfen oder der Schienenverkehr“ – oder eben Flughäfen. Wenn sich die Gerichte mit den „Aktivisten“ auseinandersetzen, befassen sie sich damit, ob sie möglicherweise Totschlag begangen haben.
Für den Chef des Verfassungsschutzes, sollten die Mittel nicht so einfach vom Zweck zu trennen sein. Denn was schützen Paragraphen wie der § 212 StGB (Totschlag)? Etwa nicht das Leben als das höchste Gut unserer Rechtsordnung? Was ist mit dem § 223 StGB (Körperverletzung)? Ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit etwa von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung trennbar? Nein. Wie kann man sich dann als VERFASSUNGSSCHUTZchef hinstellen und Angriffe auf unseren Rechtsstaat als gelebte Demokratie loben? Welche Verfassung schützen Sie, Herr Haldenwang? Die Deutsche ganz sicher nicht.