
„An dieser Stelle befand sich ein Beitrag über das Schicksal einer Flüchtlingsgruppe am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros im Sommer 2022. Mittlerweile gibt es Zweifel an der bisherigen Schilderung der damaligen Geschehnisse“ – Wer den Spiegel-Artikel zur „Todesfalle EU-Grenze“ sucht, findet auf der Seite des Magazins nur noch diesen Hinweis. Zuvor fand man unter der URL einen rührenden Artikel über das Schicksal eines kleinen fünf-jährigen Mädchens. Ein Spiegel-Reporter will die kleine Maria auf ihrer Odysee durchs Mittelmeer begleitet haben. Sie wollte in die EU einreisen doch die griechischen Behörden verweigerten ihre Einreise. Am Ende strandete Maria an einer Insel zwischen Griechenland und der Türkei.
„Nun ist Maria tot“ soll der Spiegel-Journalist dem Medieninsider zufolge geschrieben haben. „Sie ist Anfang August an Europas Außengrenze gestorben, weil ihr griechische Behörden jede Hilfe versagten“ – eine schockierende, rührende Geschichte. Die kleine Maria war schwach, verletzlich und auf die Hilfe der Europäer angewiesen. Sie war nur ein kleines Mädchen, das keiner Fliege etwas zu leide tun könnte. Doch die griechischen Behörden ließen das Mädchen einfach im Stich. Sie stellten das Recht über die Gerechtigkeit. Der Pass, ein Stück Papier war ihnen wichtiger als das Leben der kleinen Maria.
Das war zumindest der Eindruck, den man in dem Spiegel-Artikel gewinnen konnte. Doch nun stellt sich die Geschichte ganz anders dar. Dem Medieninsider zufolge, ist nicht nur fraglich, ob das Mädchen gestorben ist, sondern ob es überhaupt existiert. Schon im September begehrte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi gegen die Reportage auf. Er hatte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte und warf dem Spiegel vor, ungefiltert NGO-Angaben zu übernehmen. Der verantwortliche Spiegel-Reporter Giorgos Christides hat sich schon Ende August via Twitter zu den Vorwürfen geäußert. Er gab an, mit den Eltern und Geschwistern des Mädchens gesprochen zu haben und wolle an der Geschichte „anders als die Politik“ nicht zweifeln.
Trotzdem: Sie bleibt fragwürdig. Beim Spiegel wolle man nach eigener Aussage intern den Zweifeln nachgehen und die Recherche rekonstruieren. Bis dahin bleibt die 4-teilige Artikelserie erst einmal offline.
Der Fall erinnert stark an den Spiegel-Skandal von vor knapp 4 Jahren. Damals wurde aufgedeckt, dass der Star-Reporter Claas Relotius Reportagen über das Schicksal von Latinos, die versuchten in die Vereinigten Staat zu flüchten, gefälscht und frei erfunden hat. Nach dem Skandal gelobte man beim Spiegel Besserung und interne Aufarbeitung. Nun hat man den Lesern möglicherweise schon wieder eine Lüge aufgetischt.