
Seit Jahren verschwinden sie schleichend, das Kneipensterben ist eine traurige Realität. Nach zwei Jahren Corona geben nun die Gas-, Strom- und Einkaufspreise vielen den Todesstoß.
Kneipen befinden sich in der Krise – und das nicht erst seit den explodierenden Strom- und Gaspreisen. Zwei Jahre Corona-Maßnahmen haben die Kneipen-Szene arg geschwächt . und nun droht die Energiekrise, einer bereits ums Überleben ringenden Branche den Rest zu geben. Im Vergleich zum letzten krisenfreien Jahr 2019 verzeichnet die getränkegeprägte Gastronomie einen Umsatzrückgang von 34,9 % im 1. Halbjahr. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies zwar eine Erholung, aufatmen kann die Branche allerdings nicht. In den letzten Jahren gab es durchgehend weniger Neugründungen als Betriebsaufgaben – ein Trend, der sich fortsetzen wird. „Man muss doch bescheuert sein, jetzt eine Kneipe aufzumachen”, so eine Wirtin aus Dortmund gegenüber derwesten.de.
Doch bereits vor den offiziellen Krisenjahren befanden sich Kneipen in der Krise. Binnen 7 Jahren ging beinahe ein Drittel aller Kneipen verloren. Das Kneipensterben steht nicht bevor, es findet bereits statt. Häufig ist es der Staat, der den Betreiber der meist familiengeführten Kneipen Steine in den Weg legt. Nach einem jahrelangen Kampf verloren die Kneipen einen Teil ihrer Identität, das Rauchen wurde in allen Innenräumen verboten. „Mit dem Verschwinden der Aschenbecher in den Wirtshäusern, die plötzlich obsolet geworden waren, verschwanden auch die Stammtische”, so der Kulturwissenschaftler Frank Lang, Kurator am Landesmuseum Württemberg.
Überall in Deutschland vermissen Menschen die aussterbenden Kneipen. Eine Frau aus dem Westerwald berichtet: „Es muss wohl schön gewesen sein in den Kneipen, da unsere Männer oft den Heimweg nicht gefunden haben”. Besonders der ländliche Raum ist vom Kneipensterben betroffen. In Sachsen kommt es immer häufiger zu Leerstand. „Die Gäste achten genau auf die Preise”, so der sächsische Dehoga-Hauptgeschäftsführer Axel Klein. Auch im Bierland Bayern sieht es nicht rosiger aus. Rund 550 Gemeinden haben kein einziges Gasthaus mehr – das ist ein Viertel aller Gemeinden.
Doch auch in den Städten sterben die Kneipen – wie in Dortmund. Noch im Sommer feierte man das 70-jährige Bestehen der Traditionsgaststätte „Haus Gobbrecht”, doch im Dezember wird sie für immer ihre Türen schließen. Vor 22 Jahren übernahm Eva Flynn von ihrer Mutter. Heute steht sie vor dem Aus. „ könnte ich anfangen zu heulen.” Ihr haben die unbezahlbaren Gaspreise in Kombination mit gestiegenen Strom- und Einkaufspreisen den Rest gegeben. „Das kannste ja gar nicht an den Gast weitergeben.”
Dabei sind Kneipen ein wichtiger Ort für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Austausch. Denn dort „werden soziale Brücken zwischen sozialen Schichten geschlagen”, so Frank Lang. Es ist ein Ort, an dem „Unternehmer, Analphabeten, Studenten”, also ein Querschnitt durch die Gesellschaft zusammenkommen und etwas „dass die sozialen Netzwerke im Internet [nicht] ersetzen können.” Auch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern nimmt sich dem Problem an. Sie plant, Fördermöglichkeiten zu finden, um die Kneipenkultur zu erhalten.