
Analyse
Von Sebastian Thormann
Zum ersten Mal seit 100 Jahren konnte der Sprecher des US-Repräsentantenhauses nicht in der ersten Runde gewählt werden. Inzwischen haben die mehr als 400 Abgeordneten schon sechs Mal abgestimmt und der Posten des mächtigen Sprechers ist immer noch unbesetzt.
Eigentlich haben die Republikaner ab diesem Jahr eine knappe Mehrheit, so wie die Demokraten in der Legislaturperiode zuvor. Aber Nancy Pelosi, die Ex-Sprecherin von den Demokraten hatte ihre Fraktion fest im Griff. Anders geht es Kevin McCarthy, dem Fraktionschef der Republikaner aus Kalifornien. Mit seiner Fraktion jetzt in der Mehrheit, hätte er eigentlich zum neuen Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt werden sollen. In eine Position, die in den USA anders als etwa in Deutschland die des Bundestagspräsidenten nämlich weit mächtiger als die des Fraktionschefs ist.
Aber da die Republikaner nur eine knappe Mehrheit haben, kann sich McCarthy nicht mehr als 4 Abweichler leisten. Und zuletzt stellten sich 20 Republikaner vehement gegen ihn. Der Widerstand kommt vor allem dem „House Freedom Caucus“, einer Fraktion in der Fraktion bei den Republikanern, die von besonders Konservativen und Libertären getragen wird.
Es wäre nicht das erste Mal, dass aus diesen Reihen ein republikanischer Sprecherkandidat gestürzt wird. Bereits in der Vor-Trump-Zeit, in den Tagen der Tea Party 2015 brachten sie den Sprecher John Boehner zu Fall und verhinderten in der darauffolgenden Wahl Kevin McCarthy, der damals als Favorit galt. Stattdessen wurde Paul Ryan zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt.
Nun sieht es so aus, als würden es viele von ihnen ein zweites Mal versuchen McCarthys Kandidatur zu blockieren. Der hatte eigentlich sein Ansehen unter Konservativen seit 2015 wieder ausgebaut. Schon seit 2019 leitet er die republikanische Fraktion. Diesmal hat er auch die Unterstützung des langjährigen „Freedom Caucus“-Strategen Jim Jordan aus Ohio. Zusätzlich machte er den Rebellen in seiner Fraktion viele Zugeständnisse was Regeländerungen und Ausschussbesetzungen angeht. Und vor allem unterstützt Ex-Präsident Trump McCarthy.
Aber all das beeindruckt seine Gegner nicht – auch wenn es hierzulande gerne heißt, der „Freedom Caucus“ bestehe nur aus Trump-hörigen Rechtspopulisten. Denn einerseits gibt es dort radikale Trump-Anhänger wie Matt Gaetz aus Florida oder Marjorie-Taylor Greene aus Georgia (letztere unterstützt wiederrum wie Trump McCarthy). Andererseits aber auch schlicht kompromisslose Konservative, die auf strenge Fiskalpolitik pochen, wie Chip Roy aus Texas, der aus seiner Enttäuschung über Trump seit den Zwischenwahlen keinen Hehl mehr macht – und gleichzeitig seine Sympathien für Ex-„Freedom Caucus“-Mitglied und jetzigen Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, gezeigt hat.
Es ist also kompliziert. Trump-Gegner und Anhänger finden sich auf beiden Seiten des Streits. Trumps Einfluss, selbst auf seine größten Fans, schwindet. Die Zeiten, in denen er wichtige Posten in der Partei per Ansage besetzen konnte, sind vorbei. Stattdessen kehrt das Taktieren aus den Vor-Trump-Jahren zurück.
Für McCarthy selbst wird es jetzt schwierig: Entweder er schafft es durch weitere Zugeständnisse doch noch irgendwie die Abweichler für sich zu gewinnen – obwohl für viele von ihnen es mehr eine persönliche Vendetta als eine inhaltliche Auseinandersetzung ist. Oder er bringt einige Demokraten dazu, der Abstimmung fernzubleiben und gewinnt so mit einer niedrigeren Anzahl an Stimmen. Mögliche Alternativkandidaten zu McCarthy könnten Steve Scalise, die Nummer 2 in der Fraktion, oder auch Jim Jordan sein, der weiterhin großes Ansehen im „Freedom Caucus“. Beide unterstützen allerdings weiterhin McCarthy.