
Er war eine der zentralen Figuren der deutschen Pandemie-Bekämpfung, galt vielen als besonnener Mahner. Dabei ist Lothar Wielers Bilanz als RKI-Chef alles andere als vorzeigbar: In drei Jahren schaffte er es nicht, verwertbare Daten als Grundlage für politische Entscheidungen zu liefern – und forderte diese trotzdem ein. Nun verabschiedet er sich.
Auf Wieler-Sehen!
Es ist wohl dieses Bild von Lothar Wieler, das den meisten Deutschen am Ende in Erinnerung bleiben wird: Wie er im blauen Anzug hinter einem breiten Pult sitzt, die widerspenstigen Haarwirbel streng nach hinten gekämmt, den Blick durch die randlose Brille besorgt in die Ferne gerichtet. Weil er penibel darauf achtete, den maximal möglichen Abstand zu anderen Sprechern zu halten, wirkte er immer ein wenig verloren hinter dem breiten Pult der Bundespressekonferenz.
Drei Jahre lang saß der Noch-RKI-Chef regelmäßig dort, beantwortete Fragen von Journalisten, informierte die Bevölkerung über den aktuellen Stand der Seuchenschutz-Bekämpfung.
Eines seiner ersten Statements zur Pandemie gab Wieler im Januar 2020 im ZDF-Morgenmagazin. Damals erklärte er: „Die Gefahr für die deutsche Bevölkerung ist sehr gering.“ Deutschland sei zudem „absolut gut vorbereitet“.
Wenig später änderte er diese Einschätzung abrupt, mahnte plötzlich vor überlaufenden Krankenhäusern und lieferte der Politik die passenden Schreckensszenarien zur Rechtfertigung von bevölkerungsübergreifenden Seuchenbekämpfungs-Maßnahmen. Als Unterzeichner von „Contain Covid“ machte er sich mit der radikalen „No Covid“- Strategie gemein.
Einer der wohl prägendsten Auftritte von Wieler ist eine Pressekonferenz im Juli 2020. „Diese Regeln… dürfen überhaupt nie hinterfragt werden“, sagte er mit bebender Stimme und fest in die Kamera gerichtetem Blick. Ein Mantra, das fortan seine gesamte Amtszeit durchziehen sollte.
Wielers Weihnachts-Panik
Unvergessen sein fast panischer Auftritt vor Weihnachten 2021, als er die Corona-Hysterie mit einem dramatischen Appell befeuerte. Bei einer Online-Diskussionsveranstaltung mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) schilderte Wieler emotional, wie viele Menschen bald an Covid sterben würden, wenn sich nicht alle an die Regeln der Politik hielten. „Die Prognosen sind superdüster“, sagte er und warnte vor einem „sehr schlimmen“ Weihnachtsfest. Wenig später forderte seine Behörde „maximale Kontaktbeschränkungen“.
Während die ganzen Welt nach und nach zur Normalität zurückkehrte, hielt Wieler weiter an 2G fest – obwohl internationalen Wissenschaftlern längst klar war, dass Geimpfte das Coronavirus sehr wohl weitergeben können.
Mit seinen Auftritten machte sich Wieler zum willigen Helfer der Politik, die eine Rechtfertigung für Einschränkungen des öffentlichen Lebens suchte – und durch ihn bekam. Dabei waren die mauen Daten, die das RKI in seinen Berichten präsentierte, die gesamte Pandemie hindurch nur wenig belastbar. Weder zur Wirkung von Masken und Lockdowns, noch, was Zahlen rund um die Impfung anging, schaffte es die Wieler-Behörde in drei Jahren, aussagekräftige Informationen zu erheben.
Das RKI passte sich an das Narrativ an
Vielmehr: Sobald die ohnehin schon mauen Daten, die aufgrund von nachlässiger Erhebung ohnehin nur bedingt aussagekräftig waren, nahelegten, dass das gängige Narrativ nicht mehr haltbar war, passte das RKI sein Reporting an.
Beispielsweise im Mai 2022, als sich die Impfeffektivität immer mehr in Richtung null bewegte und offenkundig wurde, dass Covid-Impfungen nicht besonders effektiv vor Ansteckung mit dem Coronavirus schützt. Mit einem Mal war das Kapitel nicht mehr im Wochenbericht zu finden.
Anfang 2022 dann die Verwerfungen um den Genesenenstatus mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach, formal sein Vorgesetzter. Lauterbach hatte in der Talk-Sendung von Markus Lanz spontan bekanntgegeben, dass der Genesenenstatus nur noch drei Monate gelten werde. Viele Bürger verloren dadurch quasi über Nacht ihr Recht, in Restaurants, Bars oder in Fitnessstudios zu gehen. Lauterbach sprach später von einem „Kommunikationsproblem“, Wieler hielt sich mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Wieler verabschiedet sich für neue Aufgaben in „Forschung und Lehre“
Zuletzt zeigte sich der RKI-Chef immer seltener in der Öffentlichkeit, zum 1. April verlässt er nun auf eigenen Wunsch die Behörde, die damit die Chance auf einen Neuanfang mit einer Führung hat, die sich wieder echter wissenschaftlicher Arbeit verschreibt, anstatt der Politik die gewünschten Argumente zu liefern.
Wieler selbst will sich „neuen Aufgaben in Forschung und Lehre“ widmen. Forschung und Lehre – Bereiche, in denen er nun genau das besser machen sollte, was er in den letzten drei Jahren als Chef der zentralen Einrichtung für die Gesundheit der Deutschen nicht geschafft hat: Für echten Erkenntnisgewinn sorgen und diesen vermitteln.