Von Pauline Schwarz. In Stuttgart soll eine Frau, die unter rechtlicher Betreuung steht, durch Beschluss des Betreuungsgerichtes gegen ihren Willen gegen das Corona-Virus geimpft werden. Ist ist ein Vorgang der Fragen aufwirft. Pleiteticker.de hat mit dem Anwalt der Betroffenen und Andrea Schwin-Haumesser, der stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesverbandes der Berufsbetreuer, gesprochen.

Das Betreuungsgericht Stuttgart hat am 6. Dezember 2022 ein bemerkenswertes Urteil gefällt: Die zwangsweise Durchführung einer Corona-Impfung – und dass ausgerechnet an einer Holocaust-Überlebenden (Pleiteticker.de berichtete). Laut Gericht leide Inna Z., die unter rechtlicher Betreuung steht, an einer psychischen und einer Demenz-Erkrankung, weshalb sie nicht in der Lage sei, sich einen freien Willen zu bilden. Zur Abwendung eines gesundheitlichen Schadens durch Nichtbehandlung ihrer körperlichen Erkrankungen und zur Vermeidung von Verwahrlosung müssen die Frau geschlossen untergebracht und geimpft werden.
Es ist ein Verfahren, das Fragen aufwirft. Wie kam dieses Urteil, insbesondere in Bezug auf die Zwangsimpfung, zustande? Und: Wieso sollte der Beschluss mit Hilfe der Polizei erst einen Monat nach seinem Erlass in die Tat umgesetzt werden? Einen Tag nachdem die Beschwerde des Anwalts von Inna Z. beim Landgericht einging – am selben Tag an dem es den Beschluss mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug setzte.
Der zeitliche Abstand ist „auffällig“
Inna Z. wandte sich einige Zeit nach Erhalt des gerichtlichen Beschlusses, durch den sie nach Antrag ihrer Betreuerin nicht nur in einem Krankenhaus oder einer Pflegeinrichtung „zur Heilbehandlung“ geschlossen untergebracht, sondern auch gegen ihren Willen gegen das Coronavirus geimpft werden sollte, mithilfe ihrer Vertrauten an den Rechtsanwalt Holger Fischer.
Fischer nahm sich Frau Z. an und stellte in der ersten Januarwoche einen Eilantrag zur Aussetzung des Beschlusses an das Amtsgericht – der Eilantrag war nötig, weil der Beschluss sofortige Wirksamkeit besaß, das heißt: Man hätte ihn sofort umsetzen können – doch das geschah nicht. Mehr als einen Monat lang, in dem der Beschluss hätte umgesetzt werden können, ließ ihre Betreuerin nichts veranlassen. Erst am 11. Januar wollte sie den Beschluss mit Hilfe der Polizei in die Tat umsetzen lassen, was misslang, weil Inna Z. seither verschwunden ist. Bemerkenswert ist: Der 11 Januar war der selbe Tag, an dem das Landgericht den Beschluss außer Kraft setzte. Es hatte die Beschwerde von Fischer laut Pressestelle des Gerichts einen Tag zuvor erhalten.
Fischer äußerte gegenüber Pleiteticker.de, dass die großen zeitlichen Abstände „auffällig“ seien. Allein zwischen der Einholung des Gutachtens (September) und dem Beschluss (Dezember) liegen drei Monate. „Wenn die Situation eines erheblichen, drohender gesundheitlich Schadens vorliegt, müsste das Gericht doch eigentlich schneller handeln. Und dann hätte nach Erhalt des Beschlusses auch die Betreuerin schneller handeln müssen“ – so der Rechtsanwalt. So aber hatte die Betroffene vier Monate Zeit, in denen sich ihr Zustand hätte massiv verschlechtern können.
Innas Anwalt wartet auf Akteneinsicht
Fischer hat mit seiner Beschwerde Akteneinsicht beantragt. Nur so kann er das Gutachten, auf das sich der Beschluss des Amtsgerichtes bezieht, einsehen.
Aktuell wird das weitere Vorgehen allerdings schon dadurch erschwert, dass die Betroffene noch immer untergetaucht ist – denn so kann Rechtsanwalt Fischer kein weiteres, gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag geben. Um das bisherige Gutachten, auf das sich der Beschluss zur Anwendung der Zwangsmaßnahmen stützt, zu entkräften, bräuchte es aber ein neues – genau wie eine persönliche Anhörung der Betroffenen vor Gericht.
Der Beschluss ist angreifbar
Unabhängig davon gibt es laut Fischer gleich mehrere Punkte am Beschluss des Amtsgerichtes, die angreifbar sind.
Zum einen müssen Zwangsmaßnahmen immer als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, angesehen werden, eine Behandlung gegen den Willen eines Menschen durchzuführen. Bevor man sie anwenden kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zuallererst muss begründet sein, warum die Maßnahme notwendig ist, um einen drohenden gesundheitlichen Schaden vom Betroffenen abzuwenden – dafür bedarf es laut Fischer einer ärztlichen Untersuchung, doch die hat nie stattgefunden. „Es wurde etwas genehmigt, was eigentlich gar nicht genehmigungsfähig ist“, so Fischer.
Das Gericht müsste sich genau mit dem drohenden gesundheitlichen Schaden auseinandersetzen – es müsste in den Beschluss hineinschreiben, wie gefährlich das Corona-Virus ist und warum genau ausgerechnet Frau Z. zwangsgeimpft werden soll und andere nicht. Es fehlt jegliche Begründung, warum die Maßnahme erforderlich sei.
Wenn bekannt ist, dass die Frau sprachliche Probleme hat, müsste man laut Fischer sowohl bei der Anhörung als auch bei der Begutachtung außerdem einen Dolmetscher dazu setzen. Das dass nicht durchgeführt wurde, sei als formaler Mangel zu betrachten. Und das sind nur die Punkte, die sich explizit auf die Genehmigung der Zwangsimpfung beziehen.
Die Situation ist „unglücklich“
Holger Fischer gibt gegenüber Pleiteticker.de an, dass er es sehr unglücklich findet, dass seine Mandantin verschwunden ist. Genauso wie er es unglücklich findet, dass der ganze Vorgang mit all seinen Details an die Öffentlichkeit gedrungen ist.
Stellungnahme des Bundesverbandes der Berufsbetreuer e.V.
Pleiteticker. de hat nicht nur mit dem Anwalt der Betroffenen gesprochen, sondern auch mit Andrea Schwin-Haumesser, der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer e.V. (BdB e.V.). Wir haben Frau Schwin-Haumesser um eine Stellungnahme zu dem Fall gebeten:
Schwin-Haumesser: „Ich kann zu dem Fall selbst nichts sagen, weil ich ihn und seine Umstände nicht näher kenne. Soweit mir bekannt geworden ist, gibt es einen Unterbringungsbeschluss zur Heilbehandlung, indem außerdem beschlossen wurde, dass eine Zwangsimpfung gegen Covid-19 stattfinden soll. Wir als Berufsverband haben uns in Bezug auf Zwangsimpfungen gegen das Corona-Virus eindeutig positioniert: Wir halten eine Zwangsimpfung für fragwürdig bzw. für nicht angebracht. Wir denken, dass es in keinem Fall erforderlich ist, zwangsweise gegen Covid-19 zu impfen.
Ich kann nicht beurteilen, warum das Gericht in diesem Fall zu dem Beschluss kommt, dass Leib und Leben der Betroffenen durch die Zwangsimpfung geschützt werden – das sehen wir kritisch. Bei Zwangsmaßnahmen geht es immer darum, Leib und Leben zu schützen. Das gilt insbesondere, wenn die Maßnahme nach §1906 erfolgen soll, also deren Genehmigung durch einen rechtlichen Betreuer beantragt wird. Der Wille des Betroffenen zählt. Möchte er oder sie geimpft werden, unterstützen wir das. Möchte er oder sie nicht geimpft, haben wir ebenfalls seinen oder ihren Willen durchzusetzen.“
Bei einer Betreuung steht die Selbstbestimmung im Mittelpunkt
Laut Frau Schwin-Haumesser stehen der Wunsch und die Selbstbestimmung in der rechtlichen Betreuung im Mittelpunkt. „Die große Ausnahme besteht, wenn ein Mensch keinen freien Willen bilden kann. Das kann der Fall sein, wenn er eine bestimmte Erkrankung hat, sei es eine psychische oder auch eine Demenz-Erkrankung – dann haben wir eine Schutzfunktion. Wir müssen den Betroffenen davor schützen, sich selbst zu schädigen. Dabei stehen wir immer in einem großen Spannungsfeld zwischen dem Hochhalten der Selbstbestimmung und dieser Schutzfunktion. Grundsätzlich gilt: Eine Unterbringung zur Heilbehandlung und Zwangsmaßnahmen sind immer das letzte Mittel, was zur Verfügung steht.
Die Zwangsmaßnahmen können dann nötig werden, wenn ein Betreuter eine medizinische Behandlung, die dazu führen soll, dass dem Klienten geholfen wird und dafür sorgen soll, dass er sich nicht in Lebensgefahr bringt, aufgrund der krankheitsbedingten Uneinsichtigkeit ablehnt. Die Covid-19-Impfung gehört nicht dazu. Es ist also nicht richtig, jemanden zu impfen, wenn er es nicht möchte. Der Grund: Man kann bei dieser Impfung nicht konkret sagen, ob sie hilft ein eventuelles Sterben zu verhindern.“
Zwangsmaßnahmen sind gesetzlich sehr streng geregelt
„Es gibt grundsätzlich ein sehr strenges, gesetzlich geregeltes Verfahren, bis es überhaupt so weit kommt, dass Zwangsmaßnahmen angewendet werden. Das entscheidet kein rechtlicher Betreuer alleine, das entscheidet auch kein Gericht alleine – da gibt es viele Fragestellungen und Anforderungen, die im Vorfeld erfüllt worden sein müssen: Überzeugungsversuche, viele Angebote und Gespräche, die darauf hinweisen, was Vorteile und Nachteile einer Behandlung sind.
Da möchte ich auch ganz klar zwischen der Unterbringung zu einer Heilbehandlung, die in diesem Fall nach meinen Informationen durchgeführt werden soll, und der Genehmigung der Zwangsimpfung trennen – Ich halte sie für fragwürdig. Sie passt auch vor dem Hintergrund nicht ins Bild, dass bei einer Zwangsmaßnahme ganz genau festgestellt werden muss, wie diese zu erfolgen hat – das geht so weit, dass man detailgetreu beantragt, welches Medikament in welcher Dosierung verwendet wird.
Ich habe von diesem Fall abgesehen noch nie davon gehört, dass eine Zwangsimpfung gegen Covid-19 genehmigt worden ist. Deshalb würde mich die Begründung sehr interessieren, inwiefern sie genau dazu beiträgt, dass man nicht Leib und Leben gefährdet.“